Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2001

Staatsmann aus Glogau:
Arthur Graf v. Posadowsky-Wehner

Wenn der Name der Stadt Glogau genannt wird, werden viele Deutsche auch an Andreas Gryphius denken, der den Namen der Oderstadt weit in die Lande hinaus trug. Der hervorragendste deutsche Dichter des Hochbarocks ist mit Sicherheit der berühmteste aller in Glogau Geborenen. Hinter ihm stehen aber andere bedeutende Menschen, die dort das Licht der Welt erblickten, zum Beispiel der Verwaltungsfachmann, Politiker und Staatsmann Arthur Graf v. Posadowsky-Wehner.

Arthur Graf v. Posadowsky-Wehner

Arthur Adolf Graf v. Posadowsky-Wehner, Freiherr v. Postelwitz, wurde am 3. Juni 1845 als Sohn des Königlichen Oberlandesgerichtsrates Adolf Eduard Graf v. Posadowsky-Wehner und seiner Ehefrau Amalie, geb. von Plötz, geboren, ging auf das Glogauer Evangelische Gymnasium und legte 1864 das Abitur ab. Danach studierte er – wie früher sein Vater – Rechts- und Staatswissenschaften, wobei er das Staatsrecht und das Kirchenrecht bevorzugte. Im Jahre 1867 erwarb er aufgrund einer thematisch interessanten Dissertation die akademische Würde eines Doktors der Jurisprudenz, legte dann zwei Jahre später – ebenfalls in der schlesischen Hauptstadt – das zweite juristische Staatsexamen ab, verließ jedoch bald den Justizdienst und arbeitete auf einem von ihm gekauften Gut. 1871 heiratete er Elise v. Moeller, die Tochter eines Appellationsgerichts-Präsidenten. Später gehörten – ein Sohn war früh verstorben – ein Sohn und zwei Töchter zur Familie. Im gleichen Jahr begab sich der Graf erneut in den Staatsdienst, weil ihn die landwirtschaftliche Arbeit nicht ausfüllte, und trat zur Fortsetzung seiner beruflichen Karriere eine Stellung bei der Posener Regierung, von der ihn der Weg 1873 auf den Posten des Landrats des posenschen Kreises Wongrowitz und dann zur Leitung des Kreises Kröben führte.

Das Amt des preußischen Landrates war damals wegen der weitgehenden Unabhängigkeit und der mit ihm verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten sehr begehrt, und Posadowsky machte etwas, machte viel, aus seiner Stellung als „kleiner König”. Der gelernte Verwaltungsbeamte vertrat seiner Verpflichtung gemäß die Belange des preußisch-deutschen Staates, übertrieb aber nichts, sondern bemühte sich mit Klugheit und Takt um den Ausgleich mit der in beiden Kreisen vorhandenen polnischen Bevölkerungsmehrheit, was gerade in der Zeit des Kulturkampfes alles andere als leicht zu bewerkstelligen war. Neben dem Einsatz für die Verbesserung der Infrastruktur, die in der von ihm seit 1889 geleiteten Provinz Posen besonders nötig war, betätigte sich der 1890 mit dem Titel Landeshauptmann versehene Graf und bewusste evangelische Christ als Mitglied der posenschen Provinzialsynode und der Generalsynode des Königreiches Preußen. Als Frucht seines historischen Interesses und Familiensinns erschien 1891 die von ihm in dreißig Jahren erarbeitete „Geschichte des schlesischen adligen Geschlechtes der Grafen Posadowsky-Wehner, Freiherren von Postelwitz”.

Im Jahre 1893 beschritt Graf Arthur, dessen Leistungen naturgemäß den zuständigen Herren in Berlin nicht verborgen geblieben waren und der die Gunst Kaiser Wilhelms II. besaß, ein neues und größeres Arbeitsfeld: Er wurde Staatssekretär des Reichsschatzamtes unter Reichskanzler Leo Graf v. Caprivi, dem Nachfolger Bismarcks. In dieser Funktion gelang es ihm, die Schuldenlast des Reiches langsamer ansteigen zu lassen, mit der Tilgung der Schulden zu beginnen und Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft durchzusetzen.

Am 1. Juli 1897 stieg der Graf zu den höchsten jemals von ihm bekleideten Ämtern auf: Durch die Ernennung zum Staatssektretär des Innern, zum Stellvertreter des Reichskanzlers und zum preußischen Staatsminister und musste sich nun stark mit der sozialen Problematik in Städten, mit der Arbeiterfrage, befassen, die ihm als Agrarexperten nicht vertraut war. Trotz der für damalige Zeit im Vergleich mit der Lage in den anderen europäischen Ländern überaus fortschrittlichen Sozialgesetzgebung der Bismarck-Zeit hatte es der Staat nicht vermocht, die Arbeiterschaft, vor allem der Städte, von der Sozialdemokratie fernzuhalten, und der Staat fühlte sich bedroht. Wie der Kaiser so zählte auch Posadowsky zu den Gegnern der Sozialisten, er wurde aber „durch Schaden klug” und schlug in der „Ära Posadwosky” von 1899-1907 als führender Mann der Innenpolitik des Deutschen Reiches einen der Arbeiterschaft entgegenkommenden Weg ein: Die Arbeiter- und die Invalidenversicherung wurden verbessert und die Zahlung des bisher auf 13 Wochen begrenzten Krankengeldes um das Doppelte erweitert; Arbeiterwohnungen erfuhren Förderung. Infolge der nun deutlich sichtbar gewordenen sozialen Einstellung des Grafen gewann dieser auch bei vielen Sozialdemokraten Ansehen und Respekt. Andererseits verschlechterte sich sein Verhältnis zu den Konservativen, und viele Liberale misstrauten ihm wegen seiner Annäherung an die der katholischen Kirche eng verbundene Zentrumspartei. So musste er nach der Reichstagswahl von 1907 aus seinen Regierungsämtern ausscheiden, was aber keinen Rückzug aus der Politik bedeutete.

Von 1907-1918 war Posadwosky Mitglied des Herrenhauses, ab 1912 auch des Reichstages und – nach der von ihm tief betrauerten deutschen Niederlage im Weltkrieg – der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, in der er den Fraktionsvorsitz der rechtsstehenden Deutschnationalen Volkspartei übernahm und bei der Wahl des ersten Reichspräsidenten erfolglos gegen den Sozialdemokraten Friedrich Ebert kandidierte. Als Leitsatz seiner Politik gab er damals an: „Geistige und wirtschaftliche Hebung der minderbemittelten Klassen.” Er sorgte sich um die Einheit des Reiches – man denke an die in Versailles erfolgten Gebietsabtretungen und an separatistische und gegen die Berliner Zentrale gerichtete Bestrebungen –, beklagte die Zersplitterung der Parteien und verließ die ihm zu radikal gewordenen Deutschnationalen. Noch im hohen Alter von fast 83 Jahren zog „der Graf im Barte” 1928 als Abgeordneter einer kleinen Partei in den Preußischen Landtag ein, dessen erste Sitzung in der neuen Wahlperiode er als Alterspräsident eröffnete.

Am 23. Oktober 1932 starb Dr. jur. Arthur Graf. v. Posadowsky-Wehner nach einem schaffensfreudigen, pflichtgetreuen, verdienstvollen und christlichen Leben im Alter von 87 Jahren in Naumburg an der Saale, wo er – der Rechtsritter des Johanniterordens – seit 1907 dem Domkapitel vorstand.

Viele Ehrungen wurden dem preußischen Grandseigneur, der, mit aller immer gebotenen Vorsicht, zu den „Rittern ohne Furcht und Tadel” gerechnet werden kann, zuteil. Die Universität Gießen erhob ihn zum Ehrendoktor der Medizin, die Universität Berlin zum Ehrendoktor der Theologie. Er war Ehrenvorsitzender des Samariterbundes und des Verwaltungsrates des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und auch Ritter des Schwarzen Adlerordens.

Andreas Gyphius, der Sohn eines evangelischen Archidiakons, ist der bedeutendste Glogauer. Angesichts der Vertreibung der Glogauer am Ende des Zweiten Weltkrieges wird er – soweit vorhersehbar – wohl auch der bedeutendste deutsche Glogauer bleiben. Während seine Persönlichkeit und seine Leistungen auch heute große Anerkennung finden, so z.B. durch die alljährliche Verleihung des Andreas-Gryhius-Preises durch die Künstlergilde (Esslingen), ist Graf Posadowsky-Wehner fast ganz vergessen.

HLA

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