Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2001

Emanuel Geibels Reise nach Schlesien

Am 6. April 1884 starb in Lübeck der deutsche Dichter, der seine Lieder in die Herzen unseres Volkes schrieb: Emanuel Geibel. Der ganze Reichtum des deutschen Gemütes und deutschen Sehnsucht ist in seinem Dichterwerk ausgebreitet. Wie jeder echte Dichter, so war auch Geibel ein Seher. Von sich selbst sagte er: „30 Jahre getreu rief ich nach Kaiser und Reich.” Und wenn wir die Worte aus einem politischen Gedicht des Jahres 1839 hören: „Und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen“ oder den Endreim eines jeden Verses im Gedicht „Was wir wollen” aus dem Jahre 1867 lesen „Wir wollen einig sein und wollen Friede haben”, so ist es, als spräche der Dichter, dessen Mund vor 50 Jahren verstummte, heute wiederum zu uns. Diese geschichtlich seherischen Verse aber sind nicht allgemein bekannt. Man muss sich an sie erst wieder durch die Beschäftigung mit Geibels Werken erinnern. Gegenwärtig bleibt aber auch der Allgemeinheit, dass Geibel der Dichter eines der schönsten Wanderlieder war, eines Gedichtes, das zum ewigen deutschen Volkslied wurde: „Der Mai ist gekommen.”

Ein Jahr später schon, nachdem Geibel es gedichtet, wurde es von dem Pastor Justus W. Lyra vertont, und heute fragen wir, wenn wir mit diesem Liede den Mai einfingen und grüßen: „Ist es die Weise oder das Gedicht, das stärker in unseren Herzen widerhallt?” Dichtung und Ton haben sich vermählt, und das Volkslied wurde geboren. Auch das andere Wanderlied Geibels klingt in ewiger Jugend heute noch: „Wer recht in Freuden wandern will, der geh' der Sonn' entgegen!”

Der Dichter Emanuel Geibel.

Winter und sehnendes Hoffen sind vielleicht von keinem deutschen Dichter so besungen worden, wie von Geibel in seinem Gedicht „Hoffnung”, das mit den Worten beginnt: „Und dräut der Winter noch so sehr.” Dieser norddeutsche Mensch mit der ewigen Sehnsucht nach dem Frühling hat als ein echter Dichter auch die große deutsche Wandersehnsucht in sich getragen. In seiner Jugend zog es ihn an den Rhein. Italiens und Griechenlands Gestade sah er in seinen Wanderjahren: Und wie ihm romantische Freundschaft im Schloss Escheberg in Hessen ein gastliches Heim bereitete, und wie er dort im Frühling 1841 sein Wanderlied gesungen hat, so führte ihn wiederum eine freundliche Fügung und eine romantische Freundschaft auch nach Schlesien.

In Heringsdorf, wo der Dichter zur Kräftigung seiner leidenden Gesundheit weilte, saß er, we es früher üblich war, an der gemeinsamen Gasthaustafel häufig einem alten schwermütigen Herrn gegenüber. Es war der Fürst Heinrich zu Carolath-Beuthen, der einige Monate zuvor seine Gemahlin verloren hatte. Der ältere Herr fühlte sich zu dem jungen Mann hingezogen, und aus der zufälligen Begegnung wird ein so schönes freundschaftliches Zusammenleben, dass der 66jährige Fürst ihn nach Carolath einlädt. So lernt Geibel eines der schönsten Landschaftsbilder Schlesiens kennen und mit ihm ein fürstliches Haus und einen Kreis ebenso schlichter, wie an Herz und Geist reicher und guter Menschen. Unvergesslich sind dem Dichter die Jagden in der großen Carolather Heide und die romantischen Stunden im einsamen Forsthause Heinrichslust. Und aus den Wochen des Jahres 1849, die Geibel in Carolath zuzubringen gedachte, werden Monate, und erst im späten Herbst des Jahres reist er heim. Fürst Heinrich zu Carolath-Beuthen hatte als Kavallerie-Offizier die Freiheitskriege mitgemacht. Seine Ritterlichkeit und der soldatische Ruhm begeisterten den Dichter und knüpften das Band dieser schönen Freundschaft.

Geibel war ein Meister des Gelegenheitsgedichtes, uns so ist sein erster schlesischer Aufenthalt reich an solchen Dichtungen, die die Schönheit des Augenblickes entstehen ließ. Im nächsten Jahre folgte Geibel wiederum der Einladung des Fürsten und blieb über der Reise nach Karlsbad für einige Wochen in Carolath. Nach einem gemeinsamen Aufenthalt mit Fürst Carolath in Gastein ging die Reise über Wien zurück nach dem schlesischen Schloss an der Oder, wo Geibel vom Spätsommer bis zum Jahresende 1850 blieb. In einem in dieser Zeit verfassten Gelegenheitsgedicht wünscht er einem jungen Grafen Haugwitz auf seinem Lebenswege „Eins, das uns allen blieb versagt, das Glück, nach Sturm und Not und Pein des Vaterlandes froh zu sein.” Die nächste Fahrt, die Geibel nach Carolath führte, war seine Hochzeitsreise mit seiner jungen Frau Ada:

Mit Begeisterung schreibt die junge Frau die Eindrücke von dieser Reise an ihre Geschwister. Auch der fürstliche Freund Geibels hatte wieder geheiratet, und die beiden Ehepaare verlebten Tage der schönsten Geselligkeit, die angefüllt waren mit Musik, Gesang, Lesen und Fahrten durch Wald und Heide. Noch einmal weilte Geibel allein in Carolath im Jahre 1854, von wo er seiner Frau Brief voll von Behaglichkeit und friedvoller Ruhe schickt. Ein Jahr später trifft den Dichter der schwerste Schicksalsschlag. Seine 22jährige Frau wird ihm durch den Tod entrissen. Geibel ist nicht mehr in Schlesien gewesen. Aber die Gedanken zwischen dem schönen Carolath und den verschiedenen Aufenthaltsorten Geibels sind hin- und her geflogen, und die Erinnerung an vergangene schöne Tage steigt immer wieder auf. Und von der Ferne grüßt der Dichter seinen alt gewordenen fürstlichen Freund und die Landschaft, die ihm so gastlich war, mit den Worten:

Schloss und Garten will sich zeigen
Und am Strom der Eichenpfad,
Und der Wald, auf dessen Steigen
Oft die Muse zu mir trat.

Eingesandt von Klaus Werner

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