Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2003

Die Glogauer Stadtpfarrkirche zum hl. Nikolaus

von Dr. theol. Karl Kastner

Kath. Stadtpfarrkirche und Rathausturm
5. Fortsetzung

Nachwort des Herausgebers

Im Jahre 1926 übernahm der Herausgeber die Stadtpfarrei St. Nikolaus-Glogau, die er bis 1945, dem Kriegsende, innehatte. Er sollte der letzte deutsche Stadtpfarrer von Glogau sein. Sein Plan war, die altehrwürdige Stadtpfarrkirche einer eingehenden Renovation zu unterziehen. Nachdem in den ersten Jahren seiner Tätigkeit ein neues Glockengeläut angeschafft, das Kirchengestühl erneuert, eine Kirchenheizung eingebaut und das neue Kaplanhaus errichtet worden war, wurde unter Mitwirkung des Breslauer Provinzialkonservators Dr. Grundmann ein 10jähriger Plan für bauliche Veränderungen und Renovierungsarbeiten im Innern und Äußeren der Kirche aufgestellt, der leider durch den 1939 ausgebrochenen Krieg nur zu einem Teil ausgeführt werden konnte. Durchgeführt wurden: Die Instandsetzung des Kirchturmdaches und der Obergadenfenster, die Wiederherstellung des Haupteinganges der Kirche, die Renovierung des Hochaltars, der Kommunionbank, der Kanzel und der Loretokapelle. Dann kam das traurige Kriegsende.

Glogaus Stadtpfarrkirche ist nicht mehr. Sie ist ein Opfer des Krieges geworden, genau so, wie die Stadt Glogau selbst. Der Untergang Glogaus besiegelte das Schicksal auch der Stadtpfarrkirche, beider Vernichtung hängt zusammen, ist nicht voneinander zu trennen.

“Von den niederschlesischen Städten wurde Glogau, die traditionelle Odersiedlung und Jahrhunderte alte Festung, von den Kriegsereignissen besonders hart betroffen. Der Markt und die angrenzenden Straßen fielen den Flammen zum Opfer. Die kunstvollen Baudenkmäler existieren nicht mehr. Der gewaltige Vierecksbau des Schlosses am Oderstrom erinnerte einmal an die bewegten Zeiten der alten Festungsstadt, wie auch die zahlreichen, schön geformten Türme der Kirchen von dem Geistesleben zeugten. – Eine furchtbare Zeit hat mit grausamen Methoden die Stadt in ein Ruinenfeld verwandelt. An einem Wiederaufbau sind die Polen wenig interessiert. Von allen schlesischen Städten ist Glogau am meisten zerstört: 90 % der Stadt liegt in Trümmern. Glogau kennt man nicht wieder.” (Rdbr. 13)

Am Ostersonnabend 1945 waren die Russen bis in die Altstadt vorgedrungen, und es wurden nun alle Vorkehrungen getroffen, am Ostersonntag früh die Stadt zu übergeben, da eine weitere Verteidigung zwecklos war. Die Stadt wurde von Major Fritsche, Rittergutsbesitzer aus Alt-Eichen, übergeben. Ein höherer russischer Offizier war in Glogau in Gefangenschaft geraten. Sitz der Kommandantur war zuletzt das Flemminghaus. Als der Kommandant sich vergeblich um den Durchbruch bemühte, schickte Major Fritsche diesen russischen Offizier mit einem Brief zum russischen Kommandanten und bot sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen zwecks Übergabe der Stadt an. Dolmetscher war Zahlmeister Dr. Scholz, Studienrat aus dem Sudetengau. Der Waffenstillstand wurde gewährt, eine russische Abordnung erschien in Glogau, und die Stadt wurde übergeben. Am ersten Osterfeiertag 1945 schwiegen die Geschütze. Dann ging die weiße Fahne an der früheren Clarissenkirche in der Kasernenstraße, dem damals höchsten Gebäude, hoch. Als die Russen beim Hotel Hindenburg standen, sprengte ein deutscher Pionieroffizier die Eisenbahnbrücke. Ein Teil stürzte in die Oder, blieb aber etwa 10 cm über dem Wasserspiegel hängen. Der Teil über dem Domhafen blieb unbeschädigt. Eine angelegte Leier stellte die Verbindung mit dem Domstadtteil her. (Bruno Sabisch, Rdbr. 12)

Es existiert noch kein zusammenfassendes Werk über Glogaus Untergang. Dafür ist der Abstand von dem grausigen Geschehen zu kurz. Auch die folgenden Schilderungen wollen nur Material für spätere Geschichtsschreibung sein. Sie sind daher vornehmlich Erlebnisberichte.

Am Ostersonntag beim Morgengrauen rückten die Russen in die Stadt ein, trieben alle Männer, Frauen und Kinder aus den Kellern auf freie Plätze vor die Pestalozzischule, das Pionierwäldchen, die Königstraße, Herrendorfer Straße und das Gymnasium zusammen. Im laufe des Tages wurden dann alle Männer in Gruppen von 150 bis 200 Mann zusammengestellt, Wehrmacht und Polizei extra, dann nach verschiedenen Altersstufen sortiert, mit russischen Begleitmannschaften versehen, als Gefangene zu Fuß nach Neusalz, Grünberg, Sagan, Sorau, Sommerfeld u. a. geleitet. Dort wurden sie wieder sortiert und zurück nach Wohlau, Schmiedefeld bis nach Oberschlesien zu Fuß geschickt. Auf dem Wege dorthin, im Zuchthaus Wohlau und in den Lagern sind leider sehr viele an Entkräftung gestorben, von denen niemand etwas erfahren wird. Am 28. April wurden 17 Glogauer in Grünberg entlassen und durften zu Fuß wieder nach Glogau zurück.

Welches Bild sich hier bot, beschreibt einer der Entlassenen, Schlossermeister Alfons Zanke mit folgenden Worten: “Die einst so schöne Stadt war nicht mehr wiederzuerkennen. Die noch bei unserem Abtransport von Glogau am Ostersonntag stehenden Häuser waren alle vollständig ausgeplündert und bis in die Keller ausgebrannt. Die ganze Altstadt einschließlich des Domstadtteiles, der Vorstadt, H.Göring-Lindenruher-Promenaden- und der schönen Hohenzollernstraße boten ein Bild des Grauens. Der Rathausturm, dessen Brand und Zusammensturz wir eines Abends erleben durften, war nicht mehr, desgleichen alle Kirchtürme. Überall hatten die Russen in den sieben Wochen der Belagerung und der einen nach der Einnahme ganze Arbeit geleistet. Diese hatten den Russen etwa 3000 Tore, 52 Panzer und ein Flugzeug gekostet. Die gesamte Besatzung, Wehrmacht, Volkssturm und alle noch arbeitsfähigen Männer haben ihr Bestes hergegeben für die Stadt Glogau und damit für unser deutsches Vaterland. Der Wunsch vieler Glogauer Frauen, einmal ein Schlachtfeld besichtigen zu können, erfüllte sich sehr bald. Die Russen stellten sofort Männer und Frauen in Arbeitskolonnen zusammen, welche die Schlachtfelder räumen und alle gefallenen Soldaten, Russen und Deutsche, sowie alle toten Pferde, Kühe usw. beerdigen bzw. eingraben mußten. Am Pionierwäldchen wurde ein großes Russendenkmal mit anschließendem Friedhof errichtet, eingezäunt mit abmontierten eisernen Zäunen und Gittern. Nach Fertigstellung des Friedhofes am 19. September 1945 zog der größte Teil der Russen ab. Wir wurden den Polen übergeben zu weiteren Aufräumungsarbeiten und zur Instandsetzung der angrenzenden Gebäude an der verlängerten Königsstraße bis zum neuen Lazarett zu Wohnzwecken für die immer mehr zuziehenden Polen. Als Amtsgebäude für die polnischen Behörden wurden die landwirtschaftliche Schule und die Pestalozzischule hergerichtet. Für kirchliche Zwecke begann bald der Ausbau der christlichen Gemeinschaft in der Arnoldstraße für die Polen. Für die deutschen Katholiken wurde der große Schulraum im Redemptoristenkloster unter Leitung von P. Becksmann und Gebr. Michael als Kirche hergerichtet, als evangelische Kirche der große Raum im Block 4 der Hindenburgkaserne. Alle Deutschen mußten in der schwerbeschädigten Hindenburgkaserne untergebracht werden. Als erster deutscher Bürgermeister wurde von den Russen August Schlawe bestellt; ihn löste später Gustav Minster ab. Im Januar 1946 wurden die Lebensmittel immer knapper, so daß die Versorgung der nicht arbeitenden deutschen Bevölkerung immer schwieriger wurde. Auf Drängen vieler Glogauer übernahm ich als ehemaliger Stadtverordneter die Verwaltung der Stadt und bestellte gleichzeitig Baumeister Richard Schoedon als Finanzdezernent und Ingenieur Georg Grundewald als Wohnungskommissar. Alle drei genannten wurden von den polnischen Behörden bestätigt. Durch Einziehung einer vierprozentigen Steuer vom Arbeitslohn waren wir fortan in der Lage, alle alten Leute, Kranken und Invaliden fast kostenlos zu verpflegen. Auf meine Bitte beim polnischen Bürgermeister stellte mir dieser drei deutsche Arbeiter kostenlos zur Verfügung, die in etwa acht Wochen alle deutschen Gefallenen überall dort, wo sie gefallen und beerdigt worden waren, ausgruben und gemeinsam auf dem Garnisonfriedhof, der erst entmint werden mußte, bestatteten. Der evangelische Friedhof ist ziemlich mitgenommen, der katholische gut erhalten. Die Leichenhallen mit Kapelle und Wohnungen auf beiden Friedhöfen sind durch Brand zerstört. Am 18. Dezember 1946 erhielt ich wieder den Auftrag, sofort 300 alte Leute über 60 Jahre, Invaliden und Kinderreiche zu stellen, die am 19. Dezember 1946 über Lüben (Sammelstelle), Glogau, Sagan, Kohlfurt nach Elsterhorst bei Hoyerswerda ins Lager kamen, um dann von dort nach Löbau, Bautzen, Freiberg, Freital und Oelsnitz bei größter Kälte in ungeheizten Viehwagen in eine neue Heimat befördert zu werden. Diesem Transport schloß auch ich mich an, da auch ich schon zu den über 60jährigen gehörte. Wir verließen wehmütigen Herzens unsere einst so schöne Heimatstadt Glogau und damit unser geliebtes Schlesierland, um es mit einer neuen Heimat zu vertauschen, in der wir uns alle nur als Flüchtlinge und Ausgewiesene fühlen und auch behandelt werden.” Soweit der Bericht des Augen- und Ohrenzeugen Alfons Zanke.

Es ist nicht zu verwundern, daß unsere liebe Nikolauskirche ein gutes Ziel für die Belagerer bot. Der wuchtige Turm, einstmals als Wehrturm gebaut, zog die Beschießung durch Artillerie und aus der Luft geradezu auf sich. Es war eine entsetzliche Zerstörung unserer Stadt, die man in unfaßbarer Verblendung zur Festung erklärt und damit dem völligen Untergang preisgegeben hat. Immer wieder schreiben Augenzeugen jenes furchtbaren Geschehens: “Hätte ich doch Glogau nach dem Fall nicht mehr gesehen.” Oder: “Ich möchte auch unser Glogau nie mehr sehen. Meine Erinnerungen genügen mir. Glogau ist tot. Ein einziger grauenvoller Trümmerhaufen.” Nach einer Schätzung sollen die Verluste in Glogau 1000 Tote und 1700 Verwundete betragen. Die Innenstadt ist total zerstört. In der Jesuiten-(Garnison)-kirche ist das massive Gewölbe größtenteils eingestürzt. Sie ist im Innern ganz ihres Schmuckes beraubt und bietet einen trostlosen Anblick. Die schöne gotische Domkirche liegt in Trümmern; nur der vor etwas mehr als 100 Jahren wieder errichtete – leider unschöne – Turm ist stehen geblieben. Am wenigsten hat die Klosterkirche St. Clemens gelitten. Sie konnte notdürftig wieder hergestellt erden. Und unsere liebe Stadtpfarrkirche? Lassen wir einen Augen - und Ohrenzeugen, Herrn Kaplan Thaissing, zu Worte kommen!

“Es ergeht uns wohl allen so, daß wir immer wieder einmal mit unseren Gedanken in Glogau sind. Und das Bild unserer lieben Stadt mit ihren prächtigen Türmen und Kirchen, ihren schönen Häusern und Straßen, das Bild unseres Heimes und unserer lieben Bekannten überkommt uns mit einer Deutlichkeit, als lebten wir noch daheim. Dann reißt die Sehnsucht tiefe Wunden auf. Denn wir, die wir den Untergang miterlebt haben in jenen furchtbaren Wochen des Februar und März 1945, tragen ein anderes Bild in uns. Ruinen, ausgekohlte Häuser, Schuttmassen, fremde Gesichter und Sprache, das erschütternde Bild der entstellten, zur Fremde gewordenen Heimat. Anderen ist die Heimat genommen, uns ist sie zerstört. Unwiederbringlich. Es ist gut, das zu wissen, auf daß keine falschen Hoffnungen uns narren. Es ist gut, daran zu denken, daß auch Gott dieses Schwerste mit uns getragen. Denn auch seine Wohnungen in unserer Stadt sind zerstört, restlos. Die Welle der Sünde, die diese Flut des Unterganges auslöste, ist auch über seine heiligen Stätten - Zelte Gottes unter den Menschen - hinweggegangen. Wieder einmal ist Gott mit den Leidenden. Wieder einmal in allem uns gleich geworden. Ist mit uns in die Keller gegangen, wo wir auf Kisten und einfachsten Tischen das heilige Opfer feierten und er mit uns Mahl hielt. Bei schmerzgequälten Verwundeten auf Stroh im dunkelen Keller, bei unerträglicher Hitze, da die Glut verbrannter Häuser auf der Kellerdecke lastete, in fiebernder Spannung auf die nächsten Einschläge, in den Unterkünften bei harten Männern, die unter fremden Befehl stehend, tun mußten, was sie nicht mehr verstehen konnten und wollten, in den wenigen noch erhaltenen Kellern, bei den treuen Frauen, die ihre Männer nicht allein lassen wollten und nicht geahnt hatten, was Krieg sein kann. Abgebrochen hat Gott nie sein Zelt in unserer Stadt. Auch in den furchtbaren Ostertagen nicht. Alles dröhnte, aber das heilige Opfer ist bis auf fünf Tage der Osterwoche täglich gefeiert worden. Dann draußen im Hauptlazarett in der Dachkammer 425 und in der Hindenburgkaserne. Und jetzt auch in der christlichen Gemeinschaft. - Gottes bisherige Wohnungen aber, unsere schönen Glogauer Kirchen sind zerstört wie unsere eigenen Heime. Die Klosterkirche brannte zuerst restlos nieder, bis auf die kleine Kapelle mit dem Bild der immerwährenden Hilfe. Die Jesuitenkirche wurde immer wieder schwer getroffen und ist wohl nicht mehr zu retten. Der Dom, bis zuletzt unversehrt, brannte in der Karwoche bis auf die Grundmauern nieder. Selbst die Pfeiler sind zusammengesunken. Nur Turm und Sakristei stehen. Und unsere Stadtpfarrkirche? Der wuchtige Turm war ein gutes Ziel. Aber es hat lange gedauert, bis er niedergebrochen war und in die Kirche hineinbrach. Nun beginnt vom zweiten Teil der Kirche an ein Schuttberg. Die Sakristei, die Loretokapelle sind völlig zerbomt, ebenso die Taufkapelle und das Gewölbe des Seitenschiffes bei der Kanzel schwer durchschlagen. Eine Bombe ging durchs Hauptgewölbe, schlug bei den Kirchenvorstandbänken den Fußboden durch und legte eine geräumige Gruft unter der Kirche frei. Außerdem lagen noch fünf Blindgänger in der Kirche. Als die Schulstraße abbrannte, fing auch der Dachstuhl Feuer. Es gelang uns, mit Äxten und nassen Lappen es einzudämmen. Der Hochaltar stand noch unverletzt in seiner ganzen Pracht, und wenn die Sonne durch die scheibenlosen Fenster flutete, war es ein herrlicher Anblick inmitten des Grauens der Zerstörung. Aus der Sakristei konnten wir noch mit vieler Mühe in den angriffsfreien Abendstunden einige Paramente aus dem Schutt ausgraben. - Sie verbrannten dann aber im Pfarrhauskeller. Und die Häuser um die Kirche? Das Pfarrhaus ist durch drei schwere Einschläge bis auf einige Räume der Nordseite zerstört. Der Keller des Pfarrhauses - Zufluchtsort für 21 Menschen während der sieben Wochen der Belagerung - ausgeräuchert, Kinderhort, Caritasbüro und Pfarrheim niedergebrannt. Das Waisenhaus ist nach der Eroberung Anfang Mai niedergebrannt. Kaplanhaus: zerbomt bis auf die Küche, die zur Zeit einem polnischen Hotel als Kuhstall dient. - Das ist noch übrig von unserer Terra Sancta. Zerstörte heimat. Eine Stätte des Grauens. Nicht mehr das Bild unserer Erinnerung. Aber Gott wird uns eine neue Heimat bauen, wenn wir ihm Wohnung bauen in unserem Herzen. Tempel des heiligen Geistes. Und dann werden wir ihm wieder seine Wohnungen bauen wie unsere Vorfahren dort, wo Gott es will.”

Ende

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