Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2004

Ein Bild erinnert an das Böse in Schlesiersee

Gottfried Schröter

Der Hochaltar der Stadtpfarrkirche
An dieser Stelle (Abzweigung der Straße nach Laubegast) stand einst in Schlesiersee der Schaukasten des antijüdischen Hetzblattes "Der Stürmer". Er verführte insbesondere junge Leute zu antisemitischem Denken. Heute befindet sich dort ein "guter" Informations-Kasten. Ob es sich um den umgearbeiteten Holzkasten von damals handelt?
Sehr viele von uns Schlesiern lieben ihre Heimat unverbrüchlich. Nicht so gern lassen wir uns an das Böse erinnern, das es bei uns (wie überall) auch gab.

Auch damals gab es an der gleichen Stelle einen Schaukasten!

Gerade dieses Foto, 1992 in Schlesiersee aufgenommen, das dieser Tage in meine Hand kam, weist mich darauf hin: Es gab in der Hitlerzeit auch eine Macht des Bösen, die uns Kinder und junge Leute beeinflussen wollte und es auch tat.

Warum weist gerade dieses Foto, das mein Bruder Siegfried 1992 auf einer Heimatreise aufgenommen hat, darauf hin?

Es zeigt jene Straße in Schlesiersee, die vom Bahnhof zum Markt führte. Wir befinden uns gerade an der Abzweigung nördlich vom großen See nach Laubegast - Goile - Aufzug . Ich möchte die Aufmerksamkeit auf den Schaukasten an dieser Ecke richten. Er ist, was auf unserer Schwarz-Weiß-Abbildung nicht deutlich werden kann, von einem blauen Rahmen umgeben. Seinen Inhalt kann ich selbst mit der Lupe nur teilweise identifizieren. Dieser Kasten, der die Passanten ansprechen soll, ist offensichtlich abwechslungsreich und liebevoll eingerichtet worden. Mehrere erkennbare Fotos sprechen dafür, dass es sich um Erinnerungsbilder an ein lokales Ereignis handelt. Vielleicht ist es sogar ein kirchlicher Schaukasten!

Eine Gras- und Blumenrabatte unter und neben dieser Informationseinrichtung sorgt für eine gefällige Umgebung.

An der gleichen Stelle stand auch in meiner Jugendzeit bis 1945 ein Schaukasten. Er war einzig und allein reserviert für eine Zeitschrift der Judenhetze. Dort hing ständig die neueste Ausgabe des antisemitischen Hassblattes "Der Stürmer", das von dem Feind aller Israeliten, dem Nürnberger Gauleiter Julius Streicher, herausgegeben wurde.

Pädagogisch gesehen war das Zeitschriftenarrangement raffiniert und eingängig gemacht. Ich stand als 9- bis 14-jähriger Schüler oft davor und las, was die Juden angeblich wieder an schlimmen Dingen in aller Welt verbrochen hatten, "diese Kriegshetzer"!

Erstmals begegnete mir in diesem "Stürmer" eine Wochenzeitung, die viel mit Comicstrip und grausam verzerrenden Karikaturen ,jenen Zerr- und Spottbildern, arbeitete. Also mit jenen gerade für Kinder so einprägsamen Bildergeschichten, deren einziges Dauerthema allerdings die Verunglimpfung der deutschen Juden und der Judenheit in aller Welt war. Freiwillig stand ich davor und las dieses giftige Gebräu. In den Zeichnungen waren die Juden stets mit einer krummen Nase, einem vom vielen Fressen dicken Bauch und mit bösen Augen dargestellt worden.

Nach dem Krieg habe ich mich durch intensives Buchstudium und auch einer einwöchigen Reise nach Israel (Jerusalem, See Genezareth und anderen Städten und Plätzen, an denen unser Heiland und Erlöser Jesus Christus geheilt, gepredigt und gearbeitet hatte) selber davon überzeugt, dass alles, was man uns Kindern, Jugendlichen und der schlichten Leserschaft eintrichtern wollte, erlogen war. Ich fand nicht mehr Juden mit krummen Nasen und "asiatischem Aussehen", als es daheim in Deutschland auch verschiedene (schöne und nicht so schöne) Deutsche gab.

Nachwirkungen der Kristallnacht

Als Fahrschüler, der an jenem schlimmen Tag, dem 9. November 1938, morgens eine Freistunde vor Unterrichtsbeginn hatte, konnte ich in meinem Schulort Fraustadt selber die Schäden betrachten, die man dort an jüdischen Geschäften angerichtet hatte. Es war schlimm, mit anzusehen, wie abgehärmte jüdische Mitbürger in Fraustadt Scherben und andere Zerstörungen an und in ihren Häusern beseitigten. Ich wusste natürlich nicht, dass die gesamte israelitische Bevölkerung bald ins Nichts abtransportiert werden sollte. in einer Schulpause an jenem Tage erfuhren wir jedoch, dass vorhin ein Schüler aus der Abiturklasse zum Oberstudiendirektor gerufen worden sei. Der hatte ihm mitteilen müssen, dass er ab sofort von der Schule verwiesen worden sei, einzig und allein deshalb, weil er ein Jude war.

Ich schäme mich heute, dass ich als junger Mensch die Artikel und Bilder im "Stürmer" zwar für eine leichte Übertreibung gehalten habe, im Wesentlichen jedoch glaubte.

Unerwünscht

Das Böse hatte aber auch eine andere Gestalt.

Vor unserem Dorf Rädchen stand wie wohl in den meisten Dörfern unserer Heimat ein Schild mit der Aufschrift:

Juden sind in diesem Ort unerwünscht!

Sie sollten bei uns nirgendwo mehr eine Heimat finden oder behalten. Nirgends in Deutschland. Wie jenen Juden, die auch in Schlawa seit vielen Jahren gewohnt hatten (Im kleinen Rädchen wohnte keiner.), zumute gewesen sein musste, haben wir 1945 und in den folgenden Jahren am eigenen Leibe erlebt, als mit drastischen Methoden uns Schlesiern verdeutlicht wurde, dass wir in unserer alten Heimat unerwünscht waren und deshalb zu verschwinden hatten. Aus geistlicher Hinsicht, als regelmäßiger Bibelleser sehe ich zwischen beiden Geschehnissen einen inneren Zusammenhang.

Eine Vermutung

Während ich diesen Artikel schreibe, kommt mir ein Gedanke: Könnte es sein, dass der auf unserem obigen Foto abgebildete Schaukasten, den die Polen der Gegenwart ausgeschmückt haben, in seiner materiellen Substanz in Wirklichkeit jener Schaukasten von einst ist? Vielleicht hat man den vorhandenen Informations-Kasten mit seinem einst bösen Inhalt einfach aufgearbeitet, neu angestrichen und mit einem menschenfreundlichen Inhalt versehen. Ich kann nicht feststellen, ob es sich so verhält. Aber es spricht manches dafür. Das wäre dann ein kleines happy end! Ich nehme es einfach an. Auch wenn es vielleicht nur ein Zufall ist, dass er wieder an der gleichen Stelle steht.

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