Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 4, April 2005

Glogau - 60 Jahre unvergessen

In diesen Tagen werden wir Überlebenden, die damals dem schrecklichen Ende unserer Heimatstadt und deren ländlicher Umgebung auf schicksalhafte Weise entgangen sind, mit unseren Gedanken über die Straßen und Plätze von Glogau gehen. Es sind immer noch die gleichen, schönen und gepflegten Wege, die vor unserem geistigen Auge zu Bildern werden. Die alten und neuen Bürgerhäuser, die unsere Straßen säumten, die Jahrhunderte alten Kirchen, die Parkanlagen und Freizeitstätten. Immer wieder verdrängen wir das andere, zerschundene Glogau, weil wir es immer noch nicht wahrhaben wollen, was dort wirklich geschah.

Niemand von uns, die wir die Trümmer aus der Ferne kennen und versucht haben, die Tage und Nächte des Schreckens zu erfassen, das Ausmaß dieser Katastrophe nachzuerleben, wird die Wirklichkeit auch nur annähernd begreifen können.

Als das letzte nächtliche Bombeninferno und der tägliche Granatenhagel auf die bereits in Trümmern liegende Stadt zu Ende waren, das Leben nur noch in Schlupfwinkeln möglich war, begann die Herrschaft der Sieger über die Toten und Lebendigen und endete in einem furiosen, alles Menschliche verachtenden Rausch, beleuchtet vom Feuerschein der verbliebenen Häuserreste, die sie dazu in Brand steckten. Eine gespenstige Illumination, millionenfach reflektiert von den Glasscherben, die der Krieg zerbersten ließ.

Das alles ist uns von denen, die in Kellern und Gewölben überlebten, meist von unseren Müttern, jüngeren Geschwistern oder den greisen Großeltern, überliefert worden.

Deshalb, und nicht weil es eine Anklage gegen das Vergangene ist, sollen diese 60 Jahre ihnen zum Gedenken hier nochmals aufleuchten. Viele der Überlebenden sind dem Schrecken zwar entkommen, das Trauma konnten sie jedoch niemals mehr ablegen. Sie hatten das Lachen und das Frohsein verloren. Ihr Weiterleben hatte eine Werteverschiebung erfahren, wie es niemals Menschen vor ihnen ergangen war, und wir standen ihnen hilflos gegenüber.

Wir wissen, wem wir diesen Krieg und seine schrecklichen Folgen zu verdanken haben. Ihnen gilt unsere tiefste Abscheu, denn sie hätten wissen müssen, was sie ihren Landsleuten mit ihrer Großmannssucht antun. Am schlimmsten traf es jedoch wieder mal die Unschuldigen.

Einige von Ihnen haben die Schrecken der Glogauer Tragödie in Worte gefasst, die die Atmosphäre deutlicher werden lässt, als wir es heute beschreiben könnten. So sollen die Splitter ihrer Aufzeichnungen auf dieser Druckseite noch einmal zu ihrem Forum werden.

Die vollständigen Schilderungen der Glogauer Bürgerinnen und Bürger sind nachzulesen in dem Buch:

,,EXODUS 1945 - 1946" Flucht-, Besatzungs- und Vertreibungsschicksale von Glogauern".

Zusammengestellt von Prof. Dr. Ferdinand Urbanek, Ph. D.
Herausgegeben vom Glogauer Heimatbund e.V. 1997, 1. Auflage.

. . . Der Markt glich Mitte Januar 1945 einem Heerlager. Das Stadttheater war Unterkunft für Kranke, Flüchtlinge und Soldaten. Stroh und Heu waren ihre Betten. Vor dem Haus Markt 11, in dem wir wohnten, standen 3 Karabiner K98. An diesen hing ein Zettel mit der Aufschrift "Scheiß auf den Führer!" Und wir junges Gemüse sollten bis zur letzten Patrone aushalten!... S.28

... Nach einer stürmischen Januarnacht lagen in der Leichenhalle des Glogauer Lazaretts 68 Leichen von Greisen und Kindern, die von den Wagen der Trecks herabgelegt worden waren ... S.23

.. . Am nächsten Morgen hielt ich bei großem Schneetreiben das Begräbnis der beiden Frauen, die freiwillig aus dem Leben geschieden waren. Wir legten zu den beiden Frauen die Leiche eines kleinen, erfrorenen Kindes ins Grab, ... nur in einer Pappschachtel verschnürt... S.26

... Aber was nach der Kampftruppe kam, das waren keine Menschen mehr. Wir waren Freiwild für Russen und Polen. Meine Eltern hatten den 5-jährigen Jungen von meinem Mann bei sich; er war für sie der Schutzengel, ohne ihn hätten sie wohl kaum überlebt oder den Freitod gewählt. Viele Männer wurden erschossen oder erschlagen oder in die Keller nach Glogau gebracht. Auch mein Vater sollte erschossen werden ... S.26

. . . Wir in unserer Angst alle in den Luftschutzkeller der Friedrichstraße Nr.1, welcher von der Wehrmacht belegt war. Kaum haben wir den Raum betreten, ein neuer Einschlag. Durch den Luftdruck wurden die eisernen Ausstiegsfenster, welche mit Balken verstellt waren, in den Raum geschleudert. Meine Tochter Marianne und ich standen in der Nähe. Mir hat es den Kopf und die linke Hand verletzt. Marianne lag mit doppeltem Schädelbruch.

... Dann vergewaltigten sie die Frauen. Lotte wurde von 3 jungen Kerlen 15 x vergewaltigt. Sie schleppten sie in den Keller Friedrichstraße .... S.43

... Der Kaufhof, der zu einer Ruine zusammengebombt war, und die Mälzstraße boten ein erschütterndes Panorama. Trümmer soweit das Auge blickte und ein beizender Geruch nach Brand und Verwesung, verschleiert von den graublauen Rauchfahnen, welche aus den Resten der Glogauer Häuser in den Himmel stiegen ... S.81

. . . Als ich selbst zurück in die Villa laufe, bricht ein Stück weiter der Schneidermeister Volkmann schwer getroffen zusammen. Ich kann ihn noch aus der Schusslinie ziehen, jedoch helfen kann ich ihm nicht mehr, er stirbt auf diesem elendigen Bauplatz. Inzwischen hat es auch mich getroffen. Ich spürte einen heftigen Schlag gegen meine linke Hand und danach das warme Blut, das nun wie eine Fontäne über meine Kleidung schüttet... S.80

... Am 25.3. brannte unser Haus. Kameraden hatten meinem Vater Bescheid gesagt, er kam angelaufen, und wir lagen uns alle weinend in den Armen. Und dann, am 28.3., kamen die "Befreier". Wir hörten schon eine lange Zeit, wie ein Funker im Hausflur "Ausverkauf, Ausverkauf" meldete. Dann Schritte, Schüsse, und eine Handgranate detonierte im oberen Keller. Dann Schritte, uns blieb fast das Herz stehen, und die Tür wurde aufgerissen. Es erschien ein junger deutscher Gefangener mit blutigem Kopfverband, der von den Russen voraus geschickt worden war. Er sagte uns, wir sollten mit erhobenen Händen nach oben kommen. Wir folgten ihm und sahen den Funker tot in der Ecke sitzen, sein Funkgerät zwischen den Beinen ... S.96

... "Was wird nun mit uns geschehen ?" Wir erfuhren es bald. Die Russen lernten schnell die für sie wichtigsten Wörter "Ur" und "Frau komm". Unsere erste Nacht "unter den Russen" begann, unsere Angst lässt sich gar nicht beschreiben ... S.97

... Im Winter kamen Polen in das Haus und räumten den Kleiderschrank aus; wir behielten nur, was wir auf dem Leibe hatten. Oma Raabe lag krank im Bett und hatte nun kein Kleid mehr zum Anziehen. Ein Strickkleid blieb übrig und zum Glück auch ein Wintermantel, der versteckt war...S.100

. . . Voll Angst erfüllt, schauten wir auf den brennenden Horizont. Die Stadt, an der wir am Tag vorübergezogen sind, brannte lichterloh. Es war ein schauriges Bild. Wir waren nur von einem Gedanken bewegt : weiter, weiter, damit uns der Russe nicht einholt ... S.62

. .. Nach einigen Wochen, es war am 11.8., mussten alle Deutschen (wir waren noch so 20 Leute) den Ort verlassen, und als wir in Noßwitz ein Stückchen hinter der Teerfabrik (Sturhan) waren, kam eine Russen-Kutsche aus unserem Ort hinterher, 2 Kerle sprangen runter und erschossen dort mitten auf der Straße meinen Vater (62 Jahre) und eine Frau (30 Jahre); sie hatte ein 9 Monate altes Kind. Ein Blutbad; es war grauenvoll. Warum das geschah, wissen wir bis heute noch nicht; wir mussten dann die Straße scheuern und im danebenliegenden Spargelfeld die Leichen begraben ... S.105

. .. Noch schwerer zu ertragen, als die Tage voller Not und Mühe waren die Nächte in Unruhe und Angst. Nur sehr selten empfanden wir die Wohltat des ungestörten Schlafes. Russen und Polen haben eine besondere Vorliebe für die Nacht. In den meisten Nächten schreckten uns Schüsse. Manche Nacht war von den Schreckensrufen und dem Hilfegeschrei gepeinigter Menschen erfüllt... S.119

. .. Polnische Miliz, ein Offizier und vier Mann, holten mich am Sonntagmorgen in aller Frühe aus dem Quartier. Alle waren schwer bewaffnet und befahlen mir, mit ihnen in Richtung Schlawa (Schlesiersee) zu fahren. In der Nähe von Schlawa musste ich auf ihr Geheiß in einen Waldweg einbiegen, auf dem nach kurzer Fahrt auf einer Lichtung ein Gehöft sichtbar wurde. Anhalten! Die Polen stiegen vom Fahrzeug und gingen die 60 bis 70 Meter zu Fuß bis zu dem Haus. In dieser waldstillen Umgebung machte diese Szene einen bedrohlichen Eindruck. Ich saß wie erstarrt im Wagen. Sie betraten das Haus, aus dem schon kurz darauf lautes Schreien und Stimmen, die Todesangst erahnen ließen, zu hören waren. Darauf fielen mehrere Salven aus ihren Kalaschnikows, und dann war alles still. Nach etwa einer halben Stunde kamen meine polnischen Mitfahrer mit Taschen, Koffern und Bündeln und, wie ich sehen konnte, mit Schmuck in ihren Händen zum Auto zurück. Ehe wir zurück nach Glogau fuhren, machte man mir sehr deutlich klar, dass ich nichts gesehen habe, sonst - und es folgte eine unmissverständliche Geste... S.127

. . . Wenige Tage bevor die Russen ins Dort kamen, war sein Schwiegersohn auf Urlaub gekommen. Zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern versteckte er sich auf dem Heuboden. Von dort beobachtete er das wüste Treiben der Russen, die sich auf dem Hof in großer Zahl versammelt hatten. Ratlos und verzweifelt erschoss der Schwiegersohn seine Frau und die Kinder und schließlich sich selbst. Die ältere Tochter Richard Märkels, die noch zu Hause war, ein tapferes und entschieden christliches Mädchen, vergiftete sich mit einer größeren Anzahl Schlaftabletten. Nach schweren Lähmungserscheinungen blieb sie aber doch am Leben ... S.132

. . . Nicht anders sieht es in der Stadtpfarrkirche "St. Nikolaus" aus. Früher ein Gotteshaus voll feierlicher Würde, in dem ich als Junge begeistert fromme Dienste leistete, heute zerstört, demoliert und ausgeraubt. Blumen blühen im Innern auf den Trümmern und recken ihre zarten Köpfchen zu dem einfallenden Himmelslicht. Meine Kindheitserinnerungen werden zur Trauer, wenn ich alle diese Zerstörungen hier betrachte... S.158

• . . Der Krieg hat Glogau in Schutt und Asche sinken lassen. Heute ist von dem alten vertrauten Bild kaum noch etwas zu erkennen. Die Stadt ist tot. Doch den Menschen, die einst in dieser Stadt lebten, sie betrauern und das Recht auf die Heimat nie preisgeben werden, bleibt die zerstörte Heimat - immer noch Heimat. S.163

Bestelladresse für das Buch "EXODUS 1945 - 1946"
Glogauer Heimatbund e.V., Lavesstraße 80, 30159 Hannover.

Hans J. Gatzka

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