Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2009

Zum Gedenken an Stadtpfarrer Joseph Wagner
anlässlich seines 35. Todestages

 

von Prof. Dr. Ferdinand Urbanek

 

Am 23. Juni 1974 verstarb unser allseits verehrter Glogauer Stadtpfarrer Geistlicher Rat Joseph Wagner 89-jährig in Hildesheim, seiner letzten Station als Geistlicher der dortigen St.Elisabeth-Kirche. Einige Jahre davor wohnte auch ich noch in der Stadt des 1000-jährigen Rosenstockes und traf mich daher oft mit ihm, sei es in seinem nur zwei Straßen weiter gelegenen Domizil, das er mit seiner alten Haushälterin Frau Muche teilte, sei es zu gelegentlichen Ausflugsfahrten in meinem Wagen, u.a. zu seinem Neffen nach Alfeld und zu seiner nahebei gelegenen Nachkriegsgemeinde nach Delligsen.

Joseph Wagner

Natürlich schweifte unser Blick bei diesen Zusammenkünften immer wieder zurück zu gemeinsamen Erfahrungen im Rahmen der Stadtpfarrkirche St.Nikolaus, dessen letzter Pfarrer Joseph Wagner schon seit 1926 war. So erzählte er mir mit unverhehltem Stolz einmal, wie er einst dem Breslauer Kardinal und Erzbischof Adolf Bertram, gelegentlich dessen Firmungsvisite in Glogau, auf einem Spaziergang über die Brücke oberhalb des Wallgrabens quasi beiläufig das von ihm erbaute neue Kaplanshaus zeigte, das der Kardinal staunend verblüfft, wohl aber auch kritisch mit der Bemerkung quittierte: ‚Das ist kein Kaplanshaus, das ist ein Palais.’ Verschmitzt, wie Wagner oft sein konnte, hat er seinen Bischof damit nämlich auf eine spitzfindige Weise einfach überrumpelt. Denn natürlich haben die vom Kardinal bewilligten Gelder der Diözese bei weitem nicht die hohen Baukosten für die in der Tat recht stattliche, gelb verputzte Vorzeige-Villa unweit des Wallgrabens decken können. Erst die gewagte eigene Hypotheken-Aufnahme des gewieften Bauherren mitsamt seinem Kirchenvorstand machte das aufwendige Unternehmen möglich.

Im übrigen war unser Pfarrer auch sonst mit einem oft hintergründigen Humor gesegnet. Nur ein Beispiel dafür: Bekannte er mir doch einmal in vollem Ernst, er „habe Erscheinungen“ – vom Herrn Jesus oder der Mutter Maria ?? - keineswegs: „… Alterserscheinungen !!“ Worauf er genüsslich in sich hinein lachte. Ebenso wenn er von kauzigen Gemeindemit-
gliedern berichtete, wie etwa von dem spinnbeinig-dürren, schwarz-berockten Opfer-Kollektor mit seinem Klingelbeutel an langem Stiel, der unter einer Fußkrankheit litt und daher nur mit den Fußspitzen auftreten konnte: sie nannten ihn folglich den „Disteltreter“ – bei Erwähnung dieses bildstarken Namens kriegte Wagner sich kaum ein vor herzhaftem Schmunzeln.

Indessen konnte er auch streng sein, wenn auch stets verhalten – wie es seiner Würde ausstrahlenden geistlichen Autorität entsprach. So bleibt mir noch heute sein verärgert-drohender Blick im Gedächtnis, mit dem er während eines Hochamtes vom Altar her, sich vehement rückwärts auf die Orgel zuwendend, schon die ersten Töne der Toccata und Fuge in d-moll von Johann Sebastian Bach missbilligte, die mein 17-jähriger Freund Wolfgang Stolpe in seiner jugendlich unbekümmerten Draufgänger-Art da in die Tasten schlug. Hörte unser Zelebrant, katholisch bis in die Knochen, da recht ? Musik vom Protestanten Bach, dazu solch stürmische, ungewohnte wie die dieser Toccata ?? Unerhört !! Ja, das war unser Pfarrer eben auch: katholisch bis in die Knochen. Und ein Traditionalist alter Schule. Seine beiden letzten Kapläne Theissing (der spätere Bischof von Mecklenburg) und Berger waren da schon aus anderem Holz geschnitzt, näher dem Geist der Bekennenden Kirche. Aber Wagner war eben Jahrgang 1885, man muss ihn historisch angemessen beurteilen.

Und mutig war er dennoch – in einer Zeit der antichristlichen Bedrängnis durch die Nazis. Wie es heißt, wurden seine Predigten von braunen Spitzeln überwacht, und er wurde auch wiederholt von den Partei-Oberen gemahnt. Davon unbeeindruckt, führte er unentwegt die öffentlichen Fronleichnamsprozessionen durch, anfangs noch um den Markt herum, aber auch später noch auf den Straßen um die Kirche bis hin zur Kinderkrippe.

Was ihn dann noch besonders auszeichnete – neben seiner tiefen schlesischen Frömmigkeit, war sein pragmatisches wirtschaftliches Talent. Nicht nur das schon erwähnte herrliche Kaplanshaus von 1930, sondern auch das 1928 neu angelegte Kirchengestühl und der Einbau einer intakten Kirchenheizung gingen auf seine Initiative zurück; vor allem aber die sehr gelungene Renovierung des Hochaltarraumes mit den hohen rotbraun-goldenen Säulen und den dezent-bunten Heiligen- bzw. Engelsfiguren oberhalb des glitzernden Opfertisches mit dem goldenen Tabernakelaufbau – eine wahre Pracht dies, und in kriegsverhangener Zeit auch eine finanzielle Leistung, zu der Mut und Kalkulationsgabe gehörten. Unvergessen bleibt mir, nach monatelanger Einsperrung der Altar-Apsis, die feierliche Enthüllung dieses Raumes in einer grandios gestalteten Zeremonie im Rahmen eines Hochamtes. Unter dem brausenden Klang der Orgel und eines herz- und sinne-ergreifenden Halleluja-Gesanges des Kirchenchores fiel mit einem Mal das breite Leinentuch vor der Altarwand herunter, und es eröffnete sich diese farbenprächtige Szenerie des hochauf strebenden Altargestühls mit dem prächtigen Opfertisch inmitten. Ein bleibendes Erlebnis meiner Jugendzeit. Pfarrer Wagner sei’s gedankt.

Er wusste für all diese Neueinrichtungen des Gotteshauses aber auch eine kompetente und finanziell opulente Helfersgruppe um sich zu scharen. Auch dies war ein besonderes Verdienst von ihm. Da war zuerst einmal sein Kirchenvorstand mit so tüchtigen Handwerksmeistern wie dem Eisenwarenhändler Zarnke von der Mälzstraße oder dem Buchdruckereibesitzer Carl Altmann von der Preußischen Straße oder dem Feinkostkaufmann Josef Filke. Hinzu gesellten sich nicht zuletzt zahlungskräftige Großkaufleute wie Paul Starzonek (Lacke, Öle, Treibstoff) oder Emil Zopp (Mitinhaber der Fa. A. Hoffmann am Markt für Röstkaffee + Gemischtwaren). Auch die 10 zur Pfarrgemeinde gehörenden katholischen Vereine dürften das Ihre nicht nur für das geistliche Wohlergehen, sondern auch für die Neueinrichtungen der Kirche geleistet haben. Für sie alle trug Joseph Wagner die Verantwortung.

Wie innig er mit seiner Glogauer Gemeinde selbst nach der nahezu völligen Zerstörung seiner St.Nikolauskirche und der sich anschließenden Flucht und Vertreibung der Glogauer 1945 verbunden war, davon zeugt das von ihm bis zu seinem Lebensende redigierte Pfarrblatt ‚Der Gerade Weg’, mit drei bis vier Ausgaben im Jahr. 65mal hat er diese von ihm einzig und allein abgefasste Trost- und Aufmunterungszeitschrift an alle ihm bekannten Adressen seiner ehemaligen Pfarrmitglieder verschickt. Welch eine inhaltlich und organisatorisch mühselige Arbeit hat da der bereits im Greisenalter stehende Mann auf seine Schultern geladen ! Und stets hat er uns darin nicht nur heilsame, religiös vertiefende Worte zugesprochen, sondern - kennzeichnend für ihn – auch aktuell Stellung zu den anfallenden Gegenwartsfragen bezogen. Dazu dann noch die wichtigsten Familiennachrichten seiner alten Pfarre mitgeteilt. Eine imponierende Leistung des inzwischen hoch betagten geistlichen Hirtens von St.Nikolaus ! Und so stark war selbst nach seinem Tod noch die Wirkung dieses Rundbriefes, dass er auf Wunsch seiner Leser von einem der Zöglinge Wagners, nämlich vom jungen Pastor Bernhard Fiedler, Sohn des Lederkaufmanns Fiedler (und Lehmert) von der Preußischen Straße, fortgesetzt wurde. Bis hin zur 80. Ausgabe 1988, als Fiedler die Arbeit aus der Hand geben musste, leider (denn er hat sie ganz im Sinne seines Vorgängers hervorragend geleitet).

Stadtpfarrkirche

Noch zwei Tage vor dem Hinscheiden meines väterlichen Freundes Joseph Wagner konnte ich ihn, den unter Herzensschwäche schon sehr leidenden und kaum mehr ansprechbaren, im Krankenhaus besuchen und Abschied von ihm nehmen. Er murmelte dabei die ihm aus der Messliturgie geläufigen Credo-Worte „..gekreuzigt, gestorben und begraben..“. War er da seinem Erlöser Jesus schon so nahe, dass er diesen Text auch auf sich selber bezog ? Jedenfalls dürfte die Formel eine seiner letzten Verlautbarungen gewesen sein. So starb also ein echter Priester Gottes. Requiescat in pace.

Am 27. Juni 1974 haben wir ihn auf dem Magdalenen-Friedhof in Hildesheim begraben. Pfarrer Bernhard Fiedler aus Glogau hat als einer von drei Geistlichen die Totenmesse gehalten und die anschließende Beerdigung vorgenommen. Immer wenn ich jetzt noch nach Hildesheim komme – alle Jahre etwa einmal, stelle ich im Namen aller Gogauer Pfarrmitglieder von St.Nikolaus einen Topf mit Blumen auf das Grab unseres Geistlichen Rates Joseph Wagner. Auch wenn seit 10 Jahren das Grab schon eingeebnet und der Grabstein entfernt worden ist. (Wogegen ich seinerzeit beim bischöflichen Generalvikariat in Hildesheim schriftlich protestiert habe. Man hätte vorher zumindest eine diesbezügliche Anfrage an den Glogauer Heimatbund richten können. Die Gräber der einheimischen Geistlichen wurden nicht so schnell aufgegeben ! Nun ja, auch ein Vertriebenenschicksal. Vorbei.).

Dem Gedächtnis an den letzten deutschen Stadtpfarrer von Glogau, der dort 19 Jahre lang tatkräftig als Geistlicher und ehrenhafter Bürger gewirkt hat und selbst nach dieser Zeit noch über seine Rundbriefe die ihm Anvertrauten weitere 29 Jahre als Gemeinde zusammen gehalten hat, sollte ein gebührender Platz in unser aller Herzen eingeräumt werden.

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