Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2010

Pfingsten in Drogelwitz

 

von Marie Adelheid Prinzessin Reuß zur Lippe

 

Waren die Ferientage zu Pfingsten auch nur kurz, so waren sie mir doch eigentlich die liebsten des ganzen Jahres. Meine Brüder Friedrich Wilhelm und Ernst kamen dann nach Hause. Wir holten sie in Glogau von der Bahn ab und fuhren in fröhlichster Stimmung durch die in Kirsch- und Apfelblüten prangenden Dörfer und Landstraßen inmitten der von jungem Grün bedeckten Felder.
Auch unser schöner Park begann dann, sich von seiner strahlendsten Seite zu zeigen. Mein Vater war ein großer Gartenfreund. Mit viel Liebe und Sachkunde hatte er die seltensten Bäume und Sträucher in der guten, schweren Gartenerde beheimatet, und sie waren im Laufe der vielen Jahre zu beachtlicher Höhe herangewachsen. Ich erinnere mich, dass einmal sogar Direktor Meinshausen mit einer Klasse seines Glogauer Lyzeums einen Ausflug nach Drogelwitz machte, um unseren Park zu besichtigen, in dem ihn besonders eine Katalpa interessierte, ein hierzulande seltener Baum, der aus Nordamerika stammt, große, herzförmige Blätter hat und Rispen weißer, gelb und violett gezeichneter Blüten, deren Früchte noch in langen Schoten am Baume hingen, derweil er schon wieder zu blühen begann.
Da gab es ostasiatische Gingkobäume, deren Blätter den Übergang vom Nadelzum Laubholz zeigen, ferner Eiben, Sumpfzypressen, Wellingtonien und Juniperusbäume aller Spielarten. Da war eine hohe, alte Zeder, die angeblich von einem Vorbesitzer vom Libanon mitgebracht sein sollte und an deren Stamm sich eine lila Klematis emporrankte. In den verschiedenen Bosketts blühten herrliche große Goldregen- und Fliederbüsche, aus denen die Nachtigallen so unermüdlich sangen, dass meine gute, alte Großmutter sie schließlich als lästig empfand, weil sie sie im Schlafe störten.
Marabusträucher öffneten ihre zarten, rosigen, federartigen Blütendolden. Ferner gab es Rotdorn und noch vieles, vieles mehr, nicht zu vergessen die Faulbäume mit ihrem herben, strengen Geruch, den ich so liebte, und die Korkeichen im waldigen Teil des Parkes. Dort war auch der von hohen Eichen umstandene „Rudolfsberg", eine Anhöhe, von der man einen weiten Blick über die Felder bis nach Milchau hatte.
Zu Pfingsten kamen auch jene Pflanzen wieder ins Freie, die den Winter im Treibhaus verbracht hatten: die Musa, Yukkas, Oleander, Kamelien und Pomeranzenbäume, deren Früchte sogar reiften und im Winter mit Rotwein und Zucker als „Bischof" getrunken wurden. Wie vieles könnte man da noch nennen an Sträuchern und Bäumen aus diesem zwanzig Morgen großen Park.

Schloss Drogelwitz
Um die Pfingstzeit wurde 1912 auch meine Einsegnung durch Pastor Alfred Bayer gefeiert, der damals noch in Weißholz amtierte. Unser Saal war aus diesem AnlaB ganz mit frischem Maiengrün geschmückt.
Aber auch unser liebes Dorf prangte um die Pfingstzeit in reichem Blüten
schmuck. Ich gehe noch oft in Gedanken die Dorfstraße entlang und sehe jedes Haus noch deutlich vor mir. Beim Schmiedemeister Otto Conrad schaute ich als Kind gerne zu, wenn die Pferde beschlagen wurden. In der Gärtnerei des Gutes wohnte zuletzt der Gärtner Kahle, dessen Sohn „Bubi" der geliebte Kindheitsgespiele meines Sohnes - des Prinzen Heinrich Reuß - war. Ich stehe in der Erinnerung wieder vor dem Hause unseres Nachtwächters Karl Skobel, vor der Gastwirtschaft von Richard Tschepe, vor dem Hause des Landwirtes und Gemeinderechners Ernst Pflügner, das später dessen Sohn Richard bewohnte. Ich verweile auch wieder vor unserer dörflichen Schule, die zugleich auch von den Kindern der Dörfer Reinberg und Milchau besucht wurde und wo Lehrer Jänisch und danach Lehrer Otto und nach diesem der Sohn Jänischs - Gerhard Jänisch - den Kindern das Schreiben und Lesen, das Rechnen, ein wenig Geschichte und Erdkunde beibrachten.
Ich sehe auch wieder das Armenhaus unseres Dorfes vor mir, in dem ein Mann namens Rudolph mit seiner Frau und später der alte August Hülse wohnten. Ich verharre vor der Kolonialwarenhandlung von Paul Hentschel und kehre schließlich in dem Hause der Witwe Stiller ein. Ihr Mann war im ersten Weltkriege gefallen. Ihr Schwiegervater war unser lieber „Papa Stiller", Gemeindevorsteher in Drogelwitz während meiner Kinderzeit. Ich sehe auch unseren langjährigen Gutsvogt „Vater Wolf" wieder vor mir, mit den fröhlichen, blauen Augen und dem weißen Bart und den Orden, die er aus dem deutsch-französischen Kriege von 1870/71 mit nach Hause gebracht hatte, was uns Kindern - meinen Brüdern und mir - sehr imponierte.
Sie waren alle gute und von uns geschätzte Nachbarn, sie haben meine Kindertage begleitet, und ich habe ihnen allen ein gutes Andenken bewahrt. Zum letzten Male sah ich sie alle bei der Totenfeier für meinen Vater - den Prinzen Rudolf zur Lippe-Biesterfeld - im Juni des Jahres 1931. Durch die Ungunst jener für die Landwirtschaft so katastrophalen Jahre ging unser schönes Gut - wie so viele andere in Schlesien, in Ostpreußen, in Pommern, in Brandenburg - für ein „Ei und Butterbrot" in den Besitz der damaligen „Reichsversicherungsanstalt für Angestellte" in Berlin über, die eine, seinem wirklichen Wert entsprechend winzige Hypothek darauf liegen hatte, deren Zinsen nicht rechtzeitig bezahlt werden konnten. Das hat mein alter Vater, der sein Leben lang einer der korrektesten Menschen gewesen ist, den man sich überhaupt denken kann, nicht verwunden. Er starb wenige Monate, nachdem sein Gut in fremde Hände gegangen war, am 21. Juni 1931 in Drogelwitz. Eine Bronchitis quälte ihn, mit einem frohen Herzen wäre er vielleicht wieder gesund geworden. Aber seine Lebenskraft war gebrochen. Er hatte keine Kraft mehr, noch einmal gesund zu werden. Die Trauerfeier hielt unser Pastor Alfred Bayer, der dazu von seinem neuen Wirkungsort Tschepplau herübergekommen war. Wieder war es Rosenzeit, alles blühte, wie es jedes Jahr geblüht hatte.
Ich habe Drogelwitz danach nie wieder gesehen.

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