Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2010

Ein Bild erzählt: Zwei Schülerschicksale

 

von Prof. Dr. Gottfried Schröter

 

Die Kreise Fraustadt und Glogau hatten viele gemeinsame Interessen. So betrachteten wir die Zeitschrift „Fraustädter Ländchen" des (etwas kleineren) Kreises, die viele Jahre hindurch für die ehemaligen Bewohner des Nachbarkreises Fraustadt erschien, als die Schwestern-Zeitschrift unseres „Neuen Glogauer Anzeigers".
Sie musste vor einigen Jahren leider ihr Erscheinen einstellen. Aber die meisten Gymnasiasten aus der Schlawaer Ecke des Kreises Glogau besuchten das Gymnasium in Fraustadt oder, soweit sie Mädchen waren, bis zur Mittleren Reife die Fraustädter Mittelschule (von den männlichen Gymnasiasten manchmal respektlos „Gänsepenne" genannt).

Unser Bild erzählt uns in diesem Zusammenhang zweierlei: Es handelt sich hier um die Obersekunda oder Unterprima des Fraustädter Gymnasiums, das als Klassenlehrer von dem Studienrat Rendschmitt geleitet wurde.
Ich kenne zwar nicht mehr die Namen aller Schüler, wohl aber die von zwei jungen Männern, die aus unserem Kreis Glogau kamen und viele Jahre hindurch täglich mit dem Zug, der zwischen Schlawa/Schlesiersee und Fraustadt verkehrte, nach Fraustadt fuhren. Busse und Autos waren damals eher eine Seltenheit.

KLassenfoto

Nun zur Fotografie: Der Oberstufenschüler, der rechts vom Klassenlehrer steht und so fröhlich dreinblickt, heißt Karl Schwenn. Er war der Sohn des Schlawaer Arztes Dr. med. Schwenn. Er und sein Kollege Dr. med. Liebisch waren nach meinem Wissen die einzigen Ärzte in Schlawa.
Ich selber allerdings kam nach den Berichten meiner Eltern mithilfe von Dr. Liebisch zur Welt. Normalerweise hätte das - ich war das sechste Kind der Familie Schröter - die Hebamme Sbirski geschafft (die wir jungen Leute vor allem bewunderten, weil sie zu ihren Einsätzen meist mit einem schweren Motorrad fuhr). Sie wurde dieses Mal durch Dr. Liebisch ersetzt, weil es sich bei mir und meinem (leider totgeborenen) Zwillingsbruder um eine besonders schwere Geburt handelte.

Aber wir sind ja beim fröhlich dreinschauenden Schüler Karl Schwenn auf dem Bild. Die ganze Zukunft lag vor ihm!
Und er hat sie genutzt!

Gott war ihm gnädig, so dass er den Krieg überleben konnte. Und trotz seines nicht leichten Flüchtlings- und Soldatenschicksals fasste er wieder Tritt und studierte danach wie sein Vater Medizin. Er wurde ein tüchtiger Arzt. Und mein Bruder Siegfried Schröter (88), dem wir dieses Bild verdanken, hatte bis in die letzten Lebenswochen des Arztes Dr. med. Karl Schwenn hinein mit ihm telefonischen Kontakt behalten. Natürlich lebte der inzwischen über Neunzigjährige im Ruhestand. Vor wenigen Monaten hatte er seine Frau verloren, und doch kam seine Todesnachricht überraschend.
Aber es war, so dürfen wir wahrscheinlich von außen beurteilen, ein erfülltes Leben gewesen, das sich da vollendet hat.

Ganz anders und tragischer verlief das Leben des Schülers, der direkt links von dem Klassenlehrer Rendschmitt steht. (Das Foto stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1938.) Es ist Manfred Klinkert, der im Pfarrhaus zu Altstrunz/ Deutscheck wohnte. Sein Vater war der evangelische Ortspfarrer von Salisch, Merzdorf, Linderei und Neustrunz. Er war übrigens auch mein Konfirmator. Und man spürte seinem Konfirmandenunterricht an, dass er von der Herrnhuter Brüdergemeinde geprägt war, die im Geiste des Grafen Nikolaus von Zinzendorf bis heute lebt. Ihre „Losungen der Brüdergemeinde", die eine Auflage von jährlich einer Million Exemplaren erreichen, sind weltweit bekannt. Sie erschienen in diesem Jahr in der 280. Ausgabe. Das heißt, dass diese Sammlung täglicher Bibelworte 280 Jahre hindurch Jahr für Jahr (von wenigen Kriegsjahren abgesehen) erschienen ist.
Pfarrer Klinkert war ein erkennbar frommer Mann. Und den Konfirmationsspruch, den er für mich ausgesucht hatte, habe ich bis heute nicht vergessen: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun!" /Johannes 15,5).
Und obwohl der Schüler aus unserem Foto Manfred Klinkert in einem Pfarrhaus aufwuchs, war und blieb er ein fröhlicher junger Mann, der auch dem Weltlichen gegenüber durchaus aufgeschlossen war.
Sein Lebensweg nach dem Abitur verlief leider ganz anders als der von Karl Schwenn. Bereits in der ersten Zeit des schrecklichen Weltkriegs (1939 - 1945) ist er gefallen und wurde von vielen beweint, die ihn kannten.

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