Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2011

Ich werde als Siebenjähriger vorübergehend Kaufmann

 

von Prof. Dr. Gottfried Schröter

 

Zu allen Zeiten haben Kinder gerne Berufs-Spiele gemacht. Und nicht wenige wünschten sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten einen Kaufmannsladen. Und dann spielen sie mit Gleichaltrigen, Verkäufer zu sein. Das ist ja ganz schön, aber eben nur ein Spiel.
Ich dagegen war einen ganzen Tag lang als Siebenjähriger ein ganz echter Verkäufer - wenn auch ohne staatliche Genehmigung. Und das kam so:
Vater hatte in diesem Sommer besonders viele Tomaten angebaut, die sich dazu noch ausgezeichnet röteten. Wir konnten sie während der kurzen Reifeperiode gar nicht alle essen.
An einem Morgen war es meine Aufgabe, die inzwischen tiefrot gewordenen Tomaten abzupflücken und ins Haus zu bringen. Ein ziemlich großer Kartoffelkorb war fast gefüllt!
Vater dachte an die Vorräte, die er noch von der letzten Woche im Hause hatte und an ihre begrenzte Haltbarkeit. Wer sollte die schon alle essen, zumal die älteren Schröterkinder inzwischen nicht mehr daheim lebten? Und da Vater das Unübliche liebte, forderte er mich spontan auf: „Wenn du willst, kannst du sie alle verkaufen. Alles, was du einnimmst, das gehört dir."
Ich ließ mir das Angebot nicht zweimal sagen, sondern setzte mich mit meinem großen Tomaten-Korb und einem kleinen Verteiler-Körbchen (mithilfe eines Kinderstuhles und eines Kindertischchens) an die Sandstraße, den Sommerweg also, der uns von den Nachbarn Kluge und Lebe trennte. Dieser unbefestigte Weg mit Fahrrad-"Rändel" verband Rädchen mit dem drei Kilometer entfernten Dorf Linden, die erste Station wenn man mit dem Fahrrad von daheim nach der 28 km entfernten Kreisstadt Glogau fahren wollte. In Linden wohnte übrigens Siegfrieds Patentante Frieda Mücke, die Schneiderin war.
Viele Bauern mussten mit Pferd (oder Kuh) und Wagen, wenn sie auf ihre Felder wollten, an mir vorbei. Jeden sprach ich an und bot ihm mit überzeugenden Worten meine Tomaten zu wirklich sensationell günstigen Preisen an. Zwei Stück kosteten nur fünf Pfennige!
Viele nahmen das Angebot an, und ich reichte ihnen die gewünschte Zahl von Tomaten, die in Rädchen nur wenige Dorfbewohner anbauten, in einem kleinen Körbchen auf ihren Kutschersitz. Das Geschäft ging zunächst zögernd, dann aber immer besser. Schließlich hatte es sich herumgesprochen, und ein junger Mann, der "Thamm -Schecker", wie wir ihn nannten, kam schließlich sogar vom anderen Ende des Dorfes mit dem Fahrrad und einer großen Tasche hergefahren, um einen Großeinkauf zu tätigen. Er konnte jedoch nur noch die letzten fünf Tomaten mitnehmen.
Ich machte nach einigen Stunden Verkaufszeit Kassensturz und fand, dass ich an diesem Tage 85 Pfennige eingenommen hatte und da ich keine Steuern zahlte, auch verdient hatte! Das war viel Geld damals! Meine Geschwister meinten zwar, ich sei zu billig gewesen. Aber für mich war das ein großer Erfolg. Denn Taschengeld bekam ich zu der Zeit noch gar nicht, sondern erst, als ich älter geworden war, zunächst 5 Pfennig in der Woche, später, als ich auf Gymnasium nach Fraustadt ging, 10 Pfennige.

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