Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2011

Die Geschichte des Gurkauer Bergs

von Alwin Feige

 


Der Gurkauer Berg galt uns Glogauern fast soviel wie der Zobten den Schweidnitzern und die Landeskrone den Görlitzern. Er besaß aber mit diesen Bergen keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Schon der große Altersunterschied, vielleicht von Millionen von Jahren, belehrt uns darüber. Jene beiden waren von der jungen Mutter Erde gewiss unter heftigsten Wehen geboren worden und hatten eine reiche Ausstattung aus dem Erdinnern mitbekommen. Darum wuchsen sie auch zu Felsenbergen heran. Für unseren Berg hatte die seit diesem Ereignis alt gewordene Mutter Erde nicht mehr viel übrig, nur Stücke von ihrem abgetragenen Kleide.
Und der Eisriese, der vom Norden Europas herabgeschlichen war, hatte es im Verein mit der Eiskälte, die ihn begleitete, gehörig zerzaust und Fetzen abgerissen. Diese schleppte er mit sich fort und zerrieb und zerbröckelte sie noch unterwegs zu Kies und Sand. Als er mit seiner Kraft zu Ende war, lud er in unserer Heimat seine Last ab, und sein Tauwasser half ihm, damit eine Kette von Hügeln zu errichten. Vor seinem Scheiden aus dem schlesischen Lande stellte der Gletscher noch einen Berg wie einen Wachtposten vor diese, und das ist der Gurkauer Berg, dem das Dorf an seinem Fuße seinen Namen gab.

Der Berg hat es sich einmal gefallen lassen müssen, dass an ihm eine Sandgrube aufgemacht wurde. Darin konnte man seine Lebensgeschichte ablesen. Es gab in ihm nur Kies und Sand, hin und wieder auch größere Brocken, zumeist rund wie Katzenköpfe, rötliches, gelbes und graues Gestein, das seine Heimat in Norwegen hatte. Er ist also ein Sandberg. Solcher Grund vermochte natürlich nur ein ärmliches Pflanzenkleid zu tragen. Darum konnte er auch nicht mit einem Walde prahlen. Er brachte es nur zu verkrüppelten Kiefern und Akazien und was sich sonst mit so magerer Kost begnügt: Holunder, Aalkirsche, Erle, Eberesche, Hagebutte, Himbeeren und Brombeeren. Dazwischen fristeten Glockenblumen, Distel, Nesseln, Klebkraut, Ginster und die unter Naturschutz stehende Kuhschelle ein kümmerliches Dasein. Ihre Samen mögen wohl vom Winde oder von Vögeln hierher getragen worden sein.
An der Nordseite lagen in geringer Tiefe wasserführende Erdschichten. Das Wasser trat auch zutage und gestattete Wiesenbildung. Sogar ein größerer Wassertümpel hatte sich gebildet, der vor längerer Zeit noch als Pferdeschwemme gedient haben soll. In unseren Tagen erwarb die Stadt Glogau das Gelände, fing das Quellwasser ab und führte es zur Verstärkung ihrer Wasserleitung in das städtische Wasserwerk bei Gurkau. Damit war die Wiese trockengelegt.
Nur an der Mittaglehne des Berges war der Einfluss des Menschen ersichtlich. Stadtrat Weisbach aus Glogau hatte hier ein Stück Berggelände erworben und ein „Wochenendhaus" errichten lassen. Seitdem werden einige Jahrzehnte vergangen sein, man wird damals dieses Wort gar nicht gekannt haben. Aber den Bau der Landschaft anzupassen hat man schon verstanden. Es war wirklich ein herrlicher Ruhesitz! Die paar Maulbeerbäume am Hause werden dem Ehepaar auch die Erinnerung an seine Südlandreise wach erhalten haben. Die Romantik der ganzen Anlage krönte der Ziehbrunnen am Fuße des Berges. Später hat dann Baumeister Michael aus Glogau mit dem Bau eines Kirchleins in dem hier im Talgrunde liegenden Dorf Sieglitz das Landschaftsbild in glücklicher Weise bereichert.
Als der Gletscher aus dem Lande gewichen war, begann für unsere Heimat die Steppenzeit, in der Gras und Kräuter mannshoch wuchsen. Alljährlich starben die Pflanzen wieder, verrotteten und wurden zu dem, woraus sie geworden waren. Immer dicker wurde die Ackerschicht, und wenn die Stürme über das Land fegten und den lockeren Boden als lichte Staubwolke vor sich her trugen, setzten sie ihn in Talmulden und an Berglehnen ab und machten Ackerboden für Weizen und Rüben zurecht. Darum war das Land rings um den Berg unserer Heimat „wie ein Garten anzuschauen" (Tell). Den Ackersegen sah man auch den Bauerngehöften in den vielen Dörfern an, die man von hier aus erblickte.
Der schöne Erdenfleck in so großer Nähe der Stadt war das beliebte Ziel vieler Spaziergänger. Man machte wohl einmal Rast auf der Bank an der Torstensonlinde und warf seinen Blick auf das turmreiche Stadtbild. Der Baum erhielt seine Bezeichnung von dem Schwedengeneral Torstenson, der hier 1642 bei der Belagerung Glogaus Kriegsrat gehalten haben soll.
Wer dem Straßenstaube aus dem Wege gehen wollte, wählte den Weg zu Dorf und Berg über den Exerzierplatz und dann den Feldweg zum Rundlingsdorfe Gurkau, das nur einen Zufahrtsweg besaß, und zwar die Abzweigung von der Kreisstraße. Es wurden auch gern die Besucher hinausgeführt, um sie von der Höhe des Berges die weite Fernsicht genießen zu lassen. Das gesegnete Odertal mit seinen vielen Ortschaften, vom Schwusener Schlosse bis Beuthen, lag vor uns ausgebreitet, und wenn wir auf den Leitern den alten Holzturm erklettert hatten, der vom Amt für Landesvermessung vor langer Zeit errichtet worden und als Aussichtsturm zur Besteigung freigegeben worden war, dann erweiterte sich das Bild über das ganze Gebiet nördlich des Landrückens bis in das Posener Land hinein. Auf dem Turme waren auf einer Orientierungstafel auch Blickrichtungen nach fernen Zielen - die übrigens gar nicht zu sehen waren - angebracht. Wir suchten vergeblich die Schneekoppe, weil die Höhen von Kleinkauer, Hermsdorf und Jakobskirch die Fernsicht hinderten, fanden aber leicht den Schornstein der Zuckerfabrik sowie die Türme von Fraustadt. Uns grüßten die hochliegenden Kirchen von Hinzendorf und Seitsch, die hellen Mauern des Weißholzer Schlosses leuchteten durch das Grün des Parkgebüsches; auf den roten Dächern von Tschepplau und Kuttlau lag heller Sonnenschein, und das Städtchen Beuthen sowie das Schloss Carolath luden zur Fliederblüte ein. Beim Anblick unseres herrlichen Stadtforstes hob sich fast unsere Brust, um seine erquickende Luft einzuatmen. Ja, da fühlten wir, dass wir eine schöne Heimat hatten.
Es war sogar möglich, von hier aus den Pulsschlag des Wirtschaftslebens zu spüren. Wir konnten nicht nur die Rauchfahnen der Dampfschiffe auf dem Oderstrom verfolgen, sondern auch die der Lokomotive auf den vielen Bahnstrecken von Glogau nach Sagan, Grünberg, Schlawa, Lissa, Guhrau, Breslau und von Raudten nach Polkwitz.
Es beleuchtet die Tragik, die gerade über die Dörfer Sieglitz und Gurkau während des letzten Krieges hereingebrochen ist, wenn berichtet werden muss, dass aus den seit Generationen auf ihrer Scholle sitzenden Familien im ersten Dorf von den sieben Bauern (Brunn, Kube, Stiller, Maluche, Fiedler, Senftleben und Hirsch) wahrscheinlich nur einer und im anderen Orte von den sechs Bauern (Senftleben, Baburske, Prüfer, Pfeiffer, Hoffmann und Kunze) wohl keiner der direkten männlichen Nachkommen mehr den Pflug über das väterliche Erbe führen wird. Sie sind gestorben, gefallen oder ermordet.
Nach dem Verkauf des Berghauses an die Familie Nebeling hatte diese die Konzession zur Bewirtschaftung erhalten, und damit wurde der Besuch des Berges noch lebhafter. Es kam auch die Zeit, in der die Glogauer Rodel und Schi kennenlernten. Da gab sich im Winter jung und alt hier ein Stelldichein. Im Sommer erklangen fröhliche Kinderstimmen im Gebüsch, weil der Berg oft das Ziel von Schulwanderungen war. Das schlichte und still liegende Bergheim wurde zur Bergbaude und mit der Turmweihe zur Bismarckbaude.Bismarckbaude
Als die alten Leitern des Holzturmes keine Sicherheit mehr boten, wurde das Besteigen untersagt und der Zugang geschlossen. Das fiel gerade mit dem Bestreben eines interessierten Kreises zusammen, auf dem Berge einen Bismarckturm zu errichten. Der Besitzer des an und für sich unrentablen Bergteiles stellte das Land hierfür gern zur Verfügung, und der Plan kam unter der tatkräftigen Förderung von Direktor Steffens in Zarkau und des Barons von Hindersin in Dalkau bald zur Durchführung. Die Fortifikation der Festung Glogau gab als Aufsichtsbehörde die Genehmigung, auf dem im Festungsbereich liegenden Berge einen Turm aus Stein zu errichten, und Baumeister Michael erhielt den Auftrag, ihn an der Stelle des alten Turmes nach einem fast überall in deutschen Landen ausgeführten Plan zu erbauen. Das Gestein dafür wurde ihm aus den Striegauer Granitbrüchen geliefert. Es gab nun Schwierigkeiten; die schweren Werkstücke auf die Höhe hinaufzubefördern. Der Weg war zumeist in schlechtem Zustand, weil die Besitzer des Berggeländes, Bauern aus Gurkau und Sieglitz, sich über die gemeinsame Unterhaltung des Weges schwer einigen konnten. Doch es wurde geschafft, und am 23. September 1906 erfolgte unter zahlreicher Beteiligung die Weihe des Turmes. Zur Krönung des Festes wurde in der weiten Metallschale auf dem Turm das erste „Bismarckfeuer" entfacht, wie es dann immer am Geburtstag des Altreichskanzlers, dem 1. April, abgebrannt werden sollte.

zum Seitenanfang

zum Seitenanfang