Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2015

Das Bügeleisen an der Domkirche

 

aus dem Buch:
„Sagen, Geschichten, Erzählungen, aus dem Glogauer Lande“

 

Folgende Sage von unserem Dome ist die meisten bekannte und im Volksmunde verbreitete, und noch heute zeigt man ein sichtbares Wahrzeichen an der Kirche, als Beweis, dass das Erzählte auch wirklich geschehen ist. Mag es jetzt nur noch als Sage Geltung und Wert haben – die Grundlage derselben kennzeichnet die alte fromme Sitte, in erzählten Beispielen die guten und die bösen Handlungen der Menschen und die Folgen davon darzustellen.
„Auf dem Dome“ wohnte vor Jahrhunderten ein Glogauer Bürger, der seines Gewerbes ein Schneider war. Es konnte ihm nicht nachgesagt werden, dass er mehr am Schank- als am Arbeitstische gesessen und sein Geschäft vernachlässigt hätte. Seine zahlreichen Kunden waren zufrieden mit ihm, und er nährte sich redlich; an heiterer Laune fehlte es ihm auch nicht, und das wäre ebenfalls zu loben gewesen, aber hierin übertrieb er oft. Er sang gern, doch seine Auswahl von Liedern war nicht immer gut, noch weniger war er in seinen Späßen gewählt, und er bediente sich bei diesen oder wenn er ärgerlich wurde unschicklicher und sündhafter Ausdrücke. Namentlich aber hatte er die üble Gewohnheit, den Sonntag auch ohne Notwendigkeit zu einem Arbeitstag zu machen, um den Montag nach seiner Weise feiern zu können; dafür wurde er einst empfindlich gestraft, wenn er auch mit dem Schrecken davonkam.
Es war ein schöner Sonntagsmorgen, feierlich luden die Glocken von den Kirchtürmen zum Gottesdienste ein, und auch nach dem hohen Dome folgte die Menge im besten Schmuck, den jeder besaß, diesem Rufe, und es füllte sich das Gotteshaus mit Andächtigen, um dem Herrn des Himmels Preis und Dank zu bringen. Man hätte glauben sollen, dass unser Meister solchen Mahnungen gar nicht widerstehen könne, denn er hatte genug Ursache, für die ihm verliehene Gesundheit, Arbeit und Lebensheiterkeit Gott zu danken und ihn um deren Erhaltung zu bitten; in geringer Entfernung, seiner Wohnung gegenüber, lag die herrliche Kirche, er konnte an der zahlreichen Wallfahrt der Leute nach dieser sich ein Beispiel nehmen, er hörte den Glocken- und Orgelton und den Gesang der Gemeinde; ja, er konnte des Glöckleins Silberstimme vernehmen, nach dessen Zeichen die Gemeinde auf die Knie sank zur Verehrung des Allerheiligsten.
Des Meisters Herz aber war für solch beseligendes Gefühl verhärtet, - er befand sich in seiner Werkstatt und arbeitete mit seinem Gesellen und dem Lehrling, ohne dass eine besondere Notwendigkeit vorhanden war, und sang und pfiff sich etwas dazu; aber ein wunderbares Ereignis sollte ihn bald auf andere Gedanken bringen und ihm seine Sonntagsarbeit wie seine anderen schlechten Gewohnheiten für immer verleiden.
Seltsam genug hatte ihm die Arbeit an diesem Morgen schon gar nicht recht von Händen gehen wollen, und als er während des Nähens einen Blick auf die Kirchgänger warf, die an seinem Fenster vorübergingen, stach er sich heftig in die Finger; unter einer Flut von Scheltworten und Flüchen warf er die Arbeit von sich und versuchte, das Blut zu stillen; das gelang ihm natürlich auch, aber mit verbundenem Finger lässt es sich schlecht nähen. Deshalb stand er auf, um etwas anderes vorzunehmen. Kurz entschlossen legte er das Bügeleisen in die Kohlen, und bis zu dessen Heißwerden beschäftigte sich der betriebsame Mann mit allerlei anderen Dingen, wobei noch manches böse Wort fiel. Bald hatte er seine heitere Laune wiedergewonnen, doch weil es mit dem Schwatzen und Singen noch nicht so recht gehen wollte, summte er sich etwas nach eigener Komposition, holte das Bügeleisen herbei und setzte mit diesem seine Arbeit fort. Kaum aber hatte er einige Striche über das Kleidungsstück getan, da verbrannte er sich den Daumen der linken Hand mit dem sehr heißen Eisen. Mit dem beschädigten Finger nach dem Ohre fahren und das Eisen mit dem Fluch von sich stoßen: „I, so wollte ich doch, dass dich der Teufel hole!“ – das war das Werk eines Augenblicks.Dom Glogau

>Der Dom zu Glogau am 10. Mai 2015 Foto: Siegfried Pohst, Dessau<


In demselben Augenblick geschah aber etwas weit Erschreckbares: Das Eisen erhob sich wie von unsichtbarer Hand getragen oder vielmehr geschleudert blitzschnell vom Bügeltisch und fuhr zum Fenster hinaus, dass es pfiff, prasselte und klirrte. Der Meister erstarrte vor Schreck und wurde leichenblass; dem Gesellen und dem Lehrling entfielen in nicht minderem Entsetzen die Arbeiten; der Lehrling starrte bald auf die zerbrochenen Fensterscheiben, bald auf die Stelle, wo das Bügeleisen gestanden hatte, der Geselle sah einige Augenblicke den Meister mit Angst und Grauen an, doch gewann er in seinem guten Gewissen zuerst die Sprache wieder:
„Meister“, sprach er mit gedämpfter, feierlicher Stimme, „ uns ist der Böse nahe, Gott sei uns gnädig.“ „Er w a r mir gnädig und mög‘ es ferner sein“, sprach in gar ernstem Ton der Meister und trat scheu dem Fenster näher, vielleicht in dem geheimen Drange, zu sehen, was mit seinem Eisen geworden war, wenn er auch fürchten mochte, der Böse habe es mit sich, wer weiß wohin, genommen. Unten hatte sich inzwischen einiges Volk versammelt; wenn es auch meist nach den zerschmetterten Scheiben sah, so war’s doch, als sehe es sich sonst noch nach etwas Unbestimmtem um. Einige hatten ein Sausen in der Luft und einen Schlag gehört. Auch wollten manche einen Schwefelgeruch verspüren; weil man aber nichts erfahren, sich nichts denken und auch nichts sehen konnte als die zerbrochenen Scheiben, verloren sich die Neugierigen bald wieder, da ohnehin zur Kirchenzeit nicht viele Menschen auf der Straße waren.
Der Meister warf nur flüchtig einen Blick hinunter, trat bald wieder ein paar Schritte zurück, um nicht gesehen zu werden, und starrte dann einige Augenblicke aufwärts vor sich hin. Seine Augen mussten auf den Turm schauen, es war ihm ein alter Bekannter in jedem Merkzeichen, denn er hatte ihn schon geraume Zeit vor sich gesehen – doch was ist das? – hochoben in der ihm zugekehrten Turmseite – ist das nicht sein Bügeleisen, fest hineingerammt in die Mauer, wo er noch nie etwas Ähnliches sah? Ja, er kennt es wieder, die volle Deutung des ganzen Ereignisses steht vor seiner Seele, und tief erschüttert von dem Wunder, das an ihm und vor ihm geschehen, faltet er still die Hände. Des Meisters Leute waren unschlüssig aufgestanden, er wandte sich zu ihnen, zeigte ihnen das neue Wunder und sprach: „Von heute an heißt es in meinem Hause:
D u s o l l s t d e n F e i e r t a g
h e i l i g e n !“

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