Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2016

Deutsch-jüdisch-schlesischer Schriftsteller: Walter Meckauer (1889-1966) aus Breslau

 

von Dr. Hans-Ludwig Abmeier

 

Vor nunmehr 50 Jahren ist er gestorben: Grund genug, des Autors, Emigranten und Rückkehrers Walter Meckauer zu gedenken.

Walter Meckauer wurde am 13. April 1889 in Breslau als Sohn eines Versicherungsdirektors geboren, besuchte dort zuletzt eine katholische Realschule, lernte dann - dem Willen seines Vaters folgend - im Bankwesen und arbeitete von 1910 bis 1911 bei einer deutschen Bank in der chinesischen Hauptstadt Peking. Nach seiner Rückkehr in die Heimat erlaubte der Vater ihm das Abitur zu machen und dann an den Universitäten Breslau, Berlin und München zu studieren: Literaturwissenschaft und Philosophie. Walter Meckauer befasste sich intensiv mit den Schriften des französischen Philosophen Henri Bergson und erhielt 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, aufgrund der Dissertation "Der Intuitionalismus und seine Elemente bei Bergson" in Breslau den philosophischen Doktorhut. - Bergson zählte damals zu den führenden europäischen Philosophen und wurde 1928 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Fast 50 Jahre später schrieb Meckauer über diese in der Hauptstadt Schlesiens verbrachte Zeit: "Es begann jetzt die schönste Zeit meines Lebens, die ich in Breslau verlebte: Erwerbung neuen Wissens und eigenen selbständigen Denkens, erste Veröffentlichungen, ausgedehntes Studium, Erfolge auf der Bühne und, um die Hauptsache nicht zu vergessen: "durch die literarischen Kreise, die sich mir nun öffneten, jene unvergessliche Begegnung, die nur einem Glückskind vorbehalten sein scheint..." - die Begegnung mit der Frau, die er 1922 heiratete.

Sein Geld verdiente Meckauer auf immer wieder andere Weise, doch jeweils dem Geistigen verhaftet, so in der Breslauer Stadtbibliothek, als Theaterkritiker einer Breslauer Zeitung, im damals sehr bekannten jüdischen Berliner Verlag Ullstein, als Dramaturg in Gleiwitz und Chemnitz. Ein unstetes Leben notgedrungen, doch auch vom persönlichen Suchen nach der für ihn passenden Lebensrichtung, "dem Ausprobieren", verursacht! Im Jahre 1924 wurde er Vizepräsident der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften in München, arbeitete einige Jahre später erneut für den Ullstein-Verlag, lebte in Berlin und betätigte sich eifrig literarisch. Essay, Schauspiel, Komödie, Satire - ein nicht eng begrenztes Versuchen, ohne durchschlagenden Erfolg! Besser wurde es, als Meckauer 1928 den Roman "Die Bücher des Kaisers Wutai" vorlegen konnte und dieser den Jugendpreis deutscher Erzähler erhielt. Das Werk ist ein Nachklang seiner in China verbrachten Zeit und ein Ausdruck des eigenen Suchens und der Neigung zum Mythisch-Mystischen. „Der China-Meckauer" war geboren.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahre 1933 führte zum Ende des Aufstiegs von Meckauer in seinem Heimatland. Er lebte damals als "freier Schriftsteller" in Berlin und gehörte dem "Schutzverband Deutscher Schriftsteller", dem "Verband Deutscher Erzähler" und dem "Internationalen PEN-Club" an, war also etabliert. Nun reiste er mit Frau und Kind nach Italien, musste die Errichtung der NS-Herrschaft und deren totalitäres und judenfeindliches Wesen zur Kenntnis nehmen und entschloss sich - glücklicherweise -, im Ausland zu bleiben. Zuflucht fand er in Italien, Frankreich, wo er allerdings wegen seines Deutschseins im Zeiten Weltkrieg zeitweilig interniert wurde und die Auslieferung in den NS-Staat befürchten musste, und schließlich 1942 in der vom Krieg verschonten Schweiz.
Seine Mutter und seine Schwester starben im Konzentrationslager Theresienstadt. (Hier sei angemerkt, dass sich dort auch die Mutter des Schlesier-Vorsitzenden Dr. Herbert Hupka befand, welche die Haft überlebte.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Meckauer sich entscheiden zwischen einer Fortsetzung seiner nicht leichten Emigrantenzeit und der Rückkehr in ein zwar von der nationalsozialistischen Diktatur befreites, aber in schwerer materieller Not stöhnendes Deutschland. Er entschied sich für die "Fahrt über den großen Teich", in die USA, lehrte als Gastdozent an einigen Universitäten, schrieb und veröffentlichte, und ließ 1952 im seinerzeit sehr bekannten Verlag langen Müller zu München seinen zweiten China-Roman erscheinen, der den Titel "Die .Sterne fallen herab" trägt und mit einer Preisverleihung gewürdigt wurde, zu der Meckauer nach Deutschland reiste, wo es ihm wieder gefiel.
So brach er "seine Zelte" in den USA, in denen er nicht heimisch geworden war (andere Sprache!), ab, kehrte auf Dauer nach Deutschland zurück und wohnte in München. Im Jahre 1955 erhielt er in Anerkennung seines literarischen Schaffens das Bundesverdienstkreuz I. Klasse, und 1957 erschien sein autobiografischer Schlesien-Roman "Viel Wasser floß den Strom hinab“. In diese fruchtbare Arbeitsperiode gehören auch der ebenfalls auf das eigene Leben bezogene Roman "Gassen in fremden Städten“ (1959) und der 15 seiner Erzählungen enthaltende Sammelband "Der Baum mit den goldenen Früchten" (1964), die - bezeichnend für "die schlesische Gesinnung" des Verfassers - im ''Bergstadtverlag Wilh. Gottl. Korn" zu München erschienen, der in der Nachfolge des berühmten Breslauer Verlages Korn stand. Letzteres Buch widmete er "den Freunden, die seit den Tagen der Jugend bis heute zu meinem Lebenskreis gehören“: 11 Personen, und zwar 10 Männern und 1 Frau, darunter der ehemalige Reichstagspräsident und Alterspräsident des Deutschen Bundestages Paul Löbe, die schlesischen Schriftsteller Alfons Hayduk, Gerhart Pohl und Max Tau und die Frau des von Meckauer sehr geschätzten Carl Hauptmann.

Gedicht Das Weihnachtskind

Insgesamt lässt sich sagen: Meckauer führte ein ziemlich unstetes Leben; teils nach eigenem Wolle („Fernsehnsucht") teils notgedrungen. Seine Schriften sind kategorial und themenmäßig breit gelagert und nicht "unter ein einziges Dach zu bringen", und viel Mystisch-mythisch-esoterisches klingt an, mag es nun chinesisch oder gebirgsschlesisch - man denke an Carl Hauptmann und den Görlitzer Schuhmacher-Philosophen Jakob Böhme - anmuten.
Er war ein guter Erzähler, und Texte aus seiner Feder erschienen in so mancher Sammlung. Doch durch die Emigrationszeit war er aus den deutschen literarischen Kreisen und aus dem Blick des Publikums geraten. "Aller Anfang ist schwer!" So heißt es, und das gilt auch für den Neuanfang, hier nach Krieg und Rückkehr. Seine schlesische Leserschaft war großenteils weggebrochen bzw. hatte anderes zu tun, als viel zu lesen. Die Basis war geschrumpft, das Leserpotential kleiner, er selbst wohl zu
wenig eingebunden in schlesische "Dichterkreise".
Schlesisches stand aber bei ihm hoch auf der Themenskala; das deutsche Schlesien seiner jungen Jahre - unvergessen, im Herzen bewahrt, Orte und Menschen. 1964 schrieb er über Schlesien und seine ostdeutschen Landsleute: "... diese liebenswerte und mir so vertraute Eigen- und Wesenheit ist heute überallhin, an alle Orte Deutschlands in West und Ost, ja der Welt, verstreut. Menschen, deren Charakter am tiefsten auf unverrückbare Ordnung und Festverwurzelung aufgebaut ist, wurden durch die Ereignisse unseres Zeitalters gezwungenermaßen irregulär und wurzellos. Die Eigenheit, die sie hatten, droht verloren zu gehen als historische Gewachsenheit einer großen bedeutenden Provinz. Sie scheint in ihrer Eigentümlichkeit dazu verdammt, eingeebnet zu werden. Wir alle, du Schlesier in Westfalen, du Schlesier in Bayern, am Rhein oder in Übersee, ihr und ich, wir sind ausgesetzt in der Fremde zu neuen Übergängen und Einflüssen.“

Dr. Walter Meckauer war und blieb bewusst Schlesier. Er starb am 6. Februar 1966, also vor 50 Jahren, 76-jährig, in München und wurde ebendort begraben. Das geistige Erbe des lebensfrohen Optimisten aus assimilierter (nicht orthodox-strenger) jüdische Wurzel bewahrte der 1979 in Köln gegründete Walter-Meckauer-Kreis von Walters einzigem Kind Brigitte Meckauer-Kralowitz (+ 2014) und ihrem Mann. – Im heutigen Schlesien hat der an der Universität Grünberg (Zielona Góra) lehrende Germanistik-Professor Eugeniusz Klein wiederholt Texte über Leben und Werk des Breslauers publiziert. - - -
Das obige ? Gedicht kann wohl auch mit dem Gedanken gelesen werden, dass Meckauer in der Zeit der drohenden Auslieferung in das NS-Reich von französischen Mönchen Hilfe erfuhr. Mir begegnete es als Ausschnitt aus einer katholischen Wochenzeitung von Weihnachten 1968.

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