Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2017

Tschepplau (Langemark)

Eine heimatkundliche Betrachtung von Siegbert John

4. Fortsetzung aus NGA 8/17

Und nun noch einige Zahlen und Angaben zum Haushalt der politischen Gemeinde: Lt. Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1944/45 waren die Ausgaben auf 49 070 RM festgesetzt. Die Hebesätze für die Gemeindesteuer (jetzt Grundsteuer!) betrugen sowohl für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen (A) und die Grundstücke (B) 100% zum Steuermessbetrag. Die Hundesteuer betrug 2,— RM. — Gewerbesteuer wurde nicht erhoben. Um dies alles zu bewältigen, mussten die Langemarker hart arbeiten. Trotzdem wurde ein vielfältiges Vereinsleben, dessen Wurzeln großenteils bis in die zwanziger Jahre, ja sogar bis in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg nachweisbar sind, gepflegt. Damit kam auch die Geselligkeit nicht zu kurz. So gab es einen Männergesangverein, einen gemischten Chor, einen evangelischen Chor, einen Posaunenchor, einen Feuerwehr-Turn- und Sportverein, einen Radfahrerverein, eine Kyffhäuserkameradschaft und einen Reiterverein. Zu erwähnen bleiben noch der Landwirtschaftsverein, die Frauenhilfe sowie evangel. Jugendgruppen für Jungen und Mädchen. —
All diese Vereine entwickelten eine große Betriebsamkeit, so dass das kulturelle Leben des Dorfes pulsieren konnte. Der gemischte Chor, der Männergesangverein und später der Kirchenchor traten in den Wintermonaten wöchentlich an einem Abend zum Üben zusammen. Hauptlehrer Richard Bock leitete diese Chöre. Als Dirigent konnte ihm kaum jemand etwas vormachen. Er war ein Könner, und daher war auch das Niveau entsprechend hoch. Es ist also nicht verwunderlich, dass diese Chöre nicht nur im Ort, sondern auch in der Umgebung großen Anklang fanden. —
Gesellige und kulturelle Ereignisse gab es immer in den Wintermonaten. Außer vielen Gesangsvorträgen wurde Theater gespielt und anschließend das Tanzbein geschwungen. Wir hatten gute Laienspieler im Ort. Vor den Festen wurde viel geübt und geprobt. Ende der zwanziger Jahre führte der gemischte Chor das Singspiel „Die Liebe im Mai" auf, in den Hauptrollen Erna John und Richard Mahn. Wegen des großen Anklanges musste das Stück mehrmals wiederholt werden. Einige Jahre später wurde Schillers „Glocke" gesanglich aufgeführt, musikalisch begleitet von der Kapelle Horschler, Glogau. Für die Solopartien (Sopran, Alt, Tenor, Bass) waren aus Glogau und Fraustadt namhafte Sänger verpflichtet. Dieser Abend war ein besonderes Ereignis für unser Dorf und ging als Höhepunkt in die Geschichte des Vereinslebens ein.
Musikalisch war dann noch der Mandolinen- und Lautenklub, geleitet von Oswald Wilde, tätig. Mit vielen öffentlichen Aufführungen sorgte auch er für Abwechslung.

Dann muss noch die Volkstanzgruppe mit Dorfkapelle erwähnt werden. In bunten Trachten wurden die alten schlesischen Volkstänze geübt und nicht nur in Tschepplau, sondern auch in vielen Orten des Kreises aufgeführt, wo sie immer großen Beifall fanden.
Einmal im Jahr fand ein Konzertabend statt. Hierbei spielte meistens eine Blaskapelle oder die Kapelle Horschler als Streichorchester auf. Hoffmanns Saal war an diesen Abenden immer überfüllt. Weiter möchte ich an die Familienabende der Schule erinnern. Einmal im Jahr trat auch die Schule an die Öffentlichkeit. Es wurde Theater gespielt, Gedichte wurden vorgetragen, es wurde gesungen und musiziert. Der Abend war meistens mit einer Ausstellung der im Schuljahr erarbeiteten Handarbeiten verbunden. — Oft fanden im Sommer Kinderfeste statt, wobei Singspiele, Wettläufe, Sackhüpfen, Stangenklettern, Adlerwerfen und viele andere Spiele einander abwechselten. Abends zogen die Kinder mit Lampions durch das Dorf.
In der Gemeinde nicht wegzudenken war der Turn- und Sportverein. Außer Fußball wurden Leichtathletik und in den Wintermonaten Geräteturnen betrieben. Im Sommer wurden regelmäßig die Vereinsmeister in der Leichtathletik und im Fußball die Pokalsieger unter den Mannschaften der Umgebung ermittelt. Das Winterfest dieser Vereine war immer ein Höhepunkt im gesellschaftlichen Leben der Gemeinde. Hier begeisterten neben Theaterstücken vor allem die turnerischen Vorführungen. Die Vorturner Primke und Gabriel waren dabei „Spitze" in ihren Disziplinen. Auch in einer anderen Sportart, dem Reiten, wurde die Jugend ertüchtigt. Unter dem Vorsitzenden Robert Faustmann fanden regelrechte Reit- und Fahrturniere statt.
Der Radfahrerverein sorgte für die Pflege des Radsportes. Radrennen, Kunstradfahren, Reigenfahren und an den Festen Korsofahren mit bunt geschmückten Rädern standen hier auf dem Programm.
Die Winterfeste des Kriegervereins waren echte vaterländische Veranstaltungen. Pastor Bayer hielt dabei meistens den Festvortrag. Er konnte den überfüllten Saal nicht nur begeistern, sondern mitreißen. Der Beifall wollte oft kein Ende nehmen. Dieser Verein betrieb auch den Schießsport auf einem modernen Schießstand hinter dem Gasthof Strauchmann (Fiebig!).
Welcher Bewohner der dörflichen Gemeinden erinnert sich nicht der schaurigaufregenden Stunden, wenn das Feuerhorn ertönte (meistens inmitten der Nacht bei so heftigen Gewittern, wie man sie nur an der Oder erleben konnte) und der Himmel von der Feuersbrunst hell erleuchtet war. Immer gab uns die Freiwillige Feuerwehr ein Gefühl der Sicherheit. Zu nennen wäre hier vor allem der Gründer und langjährige 1. Brandmeister Albert Leißner. Er sorgte dafür, dass die Wehr Tag und Nacht einsatzbereit war. Durch seinen trockenen Humor war er bei allen Mitgliedern der Wehr beliebt. Später übernahm Richard Mahn das Kommando. Zu den besonderen Ereignissen des Dorfes zählten auch die großen Kreisfeste. In Tschepplau (Langemark) wurden Feste des Feuerwehrverbandes, des Reitervereins, des Kyffhäuserverbandes und des Deutschen Sängerbundes gefeiert. Als Festplatz diente die Koppel hinter dem Dominium, bei den Reitern eine Wiese in der Fasanerie.
Abschließend wäre noch zu erwähnen, dass die Kreisvolkshochschule im Orte tätig war. Vortragsabende und Lehrgänge wechselten sich ab.
Freude und Leid lagen wie überall dicht beieinander. Posaunenchor und Kirchenchor verschönerten die evangel. Gottesdienste an den hohen Festtagen, und sie begleiteten mit Trauermusik manchen Heimatgenossen auf dem letzten Weg zum Friedhof. Dieses große und insgesamt wohlhabende Dorf legte Zeugnis ab von der in Jahrhunderten gewachsenen Gemeinschaft und von der Redlichkeit und Schaffenskraft seiner Bewohner.

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