Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2018

 

Ärzte in Glogau

vor dem zweiten Weltkrieg

 

von Dr. Karl Maria Heidecker

 

In Glogau, 1936 einer Stadt von 35 000 Einwohnern, brauchte man zahlreiche Ärzte und mehrere Krankenhäuser. Ich versuche hier einen Bericht über die vor dem Krieg in Glogau tätigen Ärzte zu geben, auf Grund meiner eigenen Kenntnis und Erinnerung.
Aber ich stütze mich dabei auf das „Historische Ärztelexikon für Schlesien", das von dem in Frankfurt tätigen Chirurgen und Medizinhistoriker Prof. Dr. med. Michael Sachs mit viel Sorgfalt seit 1997 herausgegeben wird und von dem bisher sechs Bände, alphabetisch geordnet, bis zum Band S herausgekommen sind. Zu etlichen Ärzten habe ich selbst Nachforschungen angestellt und das Ermittelte Herrn Prof. Sachs für sein Lexikon zur Verfügung gestellt, so bei den beiden jüdischen Ärzten Dr. Getzel und Dr. Lindemann. Über Dr. Jaensch und Dr. Zander habe ich bei deren Angehörigen Auskünfte eingeholt. Leider kann ich aber für Vollständigkeit des Verzeichnisses Glogauer Ärzte nicht garantieren, weil ich kein Telefonbuch von Glogau aus der damaligen Zeit besitze, um meine Darlegungen auf Vollständigkeit zu kontrollieren. Ich erinnere mich nicht an Internisten in Glogau, außer an den Internisten Dr. med. Reich, der im Glogauer Reservelazarett als Chefarzt der Inneren Abteilung tätig war und der 1945 zunächst in Regensburg lebte. Es wird auch sicher mehr Allgemeinärzte in Glogau gegeben haben als meine Mutter, Frau Dr. Hedwig Heidecker und Dr. Mehlhausen. Deshalb dürfte mein Verzeichnis unvollständig sein.

>Das St. Elisabeth-Hospital in der Wingenstraße<

In Glogau standen drei Krankenhäuser für die Versorgung der Kranken der Stadt und des Landkreises zur Verfügung: das Städtische Krankenhaus, das katholische St. Elisabeth - Krankenhaus in der Wingenstraße und das evangelische Krankenhaus Bethanien an der Rauschwitzer Straße gelegen.

Nach dem „Lexikon Schlesischer Ärzte" leitete ab 1904 als Dirigierender Arzt Herr Dr. med. Wilhelm Kramer das Städtische Krankenhaus in Glogau. Dr. Kramer wurde am 28.10.1857 in Breslau geboren. 1880 promovierte er an der Medizinischen Fakultät der Universität Breslau und erhielt 1881 seine Approbation. Seine Facharztausbildung erhielt er 1881 bis 1886 bei Prof. Dr. Richter in Breslau, Prof. Eugen Hahn in Berlin - Friedrichshain und Prof. König in Göttingen. Seit 1887 wird er im Reichs-Medizinal-Kalender als Arzt in Glogau erwähnt. Er wurde 1914 Sanitätsrat und später Geheimer Sanitätsrat, auch Geheimrat genannt. Nach diesem Medizinal - Kalender war Dr. Kramer mindestens seit 1901 auch leitender Chirurg des katholischen St. Elisabeth-Krankenhauses in Glogau. Er wohnte in der Wallstraße, an der das Städtische Krankenhaus lag. Von seiner Wohnung aus hatte er nur einen kurzen Weg zum St. Elisabeth - Krankenhaus.

>Elisabeth Krankenhaus - Hauskapelle<

Als Allgemeinarzt arbeitete mindestens ab 1896 der spätere Sanitätsrat Dr. med. Willy Arthur Hermann Herfarth, geb. am 27.9.1864. Dieser war der Sohn des Königlichen Steuerinspektors Hermann Herfarth und seiner Ehefrau Auguste. Willy Herfarth ging nach Besuch einer Privatschule und der gehobenen Bürgerschule in Züllichau dort in das Königliche Gymnasium, dass er bis 1886 besuchte. Von 1886 bis 1891 studierte er Medizin an den Universitäten Marburg/Lahn, Berlin und Leipzig. 1891 Promotion in Marburg. Er wird dann im Reichs-Medizinal-Kalender bis 1938 als Arzt in Glogau erwähnt.
Sein Sohn Dr. med. Heinrich Herfarth wurde Im Städtischen Krankenhaus Chefarzt der Chirurgischen Abteilung. Er wurde am 17.8.1893 in Glogau geboren. 1912 legte er am Gymnasium in Guben die Reifeprüfung ab. Danach begann er erst ein Jurastudium an der Universität in Jena. Danach wechselte er das Studienfach und studierte an den Universitäten Jena, Königsberg und Breslau Medizin. 1920 legte er sein Staatsexamen ab. Im gleichen Jahr erfolgte auch seine Promotion. Danach war er Assistent am Hygiene - Institut der Universität Breslau, danach Volontärarzt am Pathologischen Institut dieser Universität. Von 1921 bis 1928 wurde er Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau bei Prof. Dr. Küttner. Zwischenzeitlich arbeitete er auch an der Inneren Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg - Eppendorf, an der Universitätskinderklinik Breslau und an der Urologischen Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau. Ab 1933 wird er im Reichs - Medizinal - Kalender als Direktor des Städtischen Krankenhauses in Glogau und Chefarzt der Chirurgischen Abteilung aufgeführt. Ich nehme aber an, dass er diese Stellung schon 1929 angetreten hatte, da zwischen 1927 und 1933 offenbar kein Medizinal-Kalender erschien. Dr. Heinrich Herfarth erlebte und erlitt die Verteidigung der Stadt Glogau als Festung 1945 mit und hat über diese schreckliche Zeit in einer eigenen Schrift berichtet. Nach seiner Vertreibung aus Schlesien fand er zunächst in Plauen/Vogtland als Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses eine neue Wirkungsstätte. 1947 gelang es ihm nach Westdeutschland zu gelangen. Hier wirkte er in Trier am Evangelischen Elisabeth -Krankenhaus noch von 1949 bis 1961 als Chefarzt der Chirurgischen Abteilung.

Sein Sohn Christian Herfarth (geb. am 12.8.1933 in Breslau) trat in die Fußstapfen seines Vaters. Er wurde auch Chirurg und schlug die akademische Laufbahn ein. Er wirkte von 1973 bis 1981 als ordentlicher Professor für Chirurgie und Ärztlicher Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Ulm und von 1981 bis 2001 in gleicher Funktion an der Universitätsklinik Heidelberg. Er wurde u.a. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und Senator dieser Gesellschaft. Er starb am 2.9.2014 in Heidelberg.

Bei Dr. Heinrich Herfarth arbeitete als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Glogau bis zu seiner Einberufung zum Militär Herr Dr. med. Gottfried Czeczatka (geb. 11.3.1906 in Fraustadt), Sohn des Pastors Oskar Czeczatka. Nach Besuch des Gymnasiums in Fraustadt studierte er in Breslau und Marburg Medizin. 1931/32 wurde er Volontärassistent am Städtischen Krankenhaus Eisenach. 1932 Promotion an der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau. 1932/33 Assistenzarzt an der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Prenzlau. Ab 1933 arbeitete er als Oberarzt bei Dr. Herfarth in Glogau.

Ein weiterer Mitarbeiter von Dr. Heinrich Herfarth war Herr Dr.med. Joachim Langhagel (geb. am 28.3.1914 in Glogau). Er studierte Medizin an der Universität Breslau und erhielt 1939 seine Approbation. 1938/39 war er zunächst Assistenzarzt an der Breslauer Universitäts-Hautklinik. Ab 1939 bis 1945 war er zunächst Assistenzarzt, ab 1944 Oberarzt an der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Glogau. Durch ihn erhielt ich (Karl-Maria Heidecker) 1942 meine erste Ausbildung in Erster-Hilfe. Ich habe ihn in der Nazizeit als einen sehr tüchtigen Arzt und einen sehr wertvollen, liebenswerten und aufrechten Menschen kennengelernt. Nach seiner Vertreibung aus Schlesien arbeitete er 1946 bis 1949 als Assistenzarzt am Thüringer Landeskrankenhaus für Orthopädie Eisenberg (Elle), anschließend am gleichen Ort bis 1958 am Rudolf - Elle - Krankenhaus für Orthopädie. 1958 gelang ihm ein Wechsel nach Westdeutschland. Ab 1959 bis 1962 arbeitete er als Oberarzt an der Orthopädischen Universitätsklinik Münster unter Prof. Dr. Hepp. Hier wurde er Professor für Orthopädie. 1963 wurde er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Chefarzt der Orthopädischen Klinik und Ärztlicher Direktor des Reha-Zentrums der Diakonie in Hessisch-Lichtenau. Er starb am 10.7. 2000 in Hessisch-Lichtenau.

Das St. Elisabeth - Hospital Glogau war ein katholisches Krankenhaus, das von katholischen Ordensschwestern des Ordens der Grauen Schwestern von der Heiligen Elisabeth betreut wurde. Dem Krankenhaus angegliedert war ein katholischer Kindergarten, der in den 30er Jahren von der Kindergartenschwester Ursula geleitet wurde.

Das St. Elisabeth - Hospital lag nahe des Zentrums der Stadt in der Wingenstraße und direkt neben der Jüdischen Synagoge. Mein Vater, Dr. med. Hanns Heidecker wurde ab 6.1.1930 Nachfolger von Herrn Geheimrat Dr. Kramer als Primararzt der Chirurgischen Abteilung dieses Krankenhauses, d.h. als selbständiger Leiter dieser Abteilung.
Dr. med. Hanns Heidecker wurde am 12.5.1899 in Oberglogau/S geboren. Er war der älteste Sohn des Direktors der Schlesischen Raiffeisengenossenschaft Josef Heidecker. Nach Besuch des Elisabeth - Gymnasiums in Breslau bestand er dort 1918 das Abitur. Anschließend wurde er zum Militärdienst eingezogen. Dabei war er in den letzten Monaten als Sanitätssoldat eingesetzt. Nach dem 1. Weltkrieg studierte er zuerst 1 Semester Jura, danach Studium der Medizin von 1919 bis 1924 an den Universitäten Breslau und Innsbruck. Approbation und Promotion 1924 in Breslau. Danach war er Assistenzarzt bei Dr.med. Fritz Jedin, dem Chefarzt der Chirurgischen Abteilung und Ärztlichem Direktor des St. Hedwigs-Krankenhauses in Bad Warmbrunn/Riesengebirge. Dort lernte er seine spätere Frau, seine Kollegin Dr. med. Hedwig Hoffmann kennen. Danach chirurgische Fachausbildung bis 1929 am Allerheiligen-Hospital in Breslau unter dem Chefarzt Prof. Dr. med. Alexander Tietze (geb.6.2.1864; gest. 19.3.1927). Im November 1926 heirateten Hedwig Hoffmann und Hanns Heidecker. Wie oben erwähnt, kam Dr. Hanns Heidecker im Januar 1930 nach Glogau, wo er mit seiner Frau eine Wohnung in der Wingenstraße 6 bezog, in der beide auch Sprechstunden abhielten.
Dr. Hanns Heidecker arbeitete als sog. Belegarzt, d.h. er erhielt kein Gehalt vom St. Elisabeth - Krankenhaus, sondern rechnete selbst sowohl mit den Krankenkassen, als auch mit den Privatpatienten seine ärztlichen Leistungen ab. Sprechstunden hielt er in seiner Privatwohnung in der Wingenstraße 6 und ab Ende 1934 in seinem Haus Promenadenstraße 16 ab. Dort konnte er auch kleine, ambulant auszuführende Operationen vornehmen. Mein Vater war, wie damals üblich, ein Universalchirurg, der sowohl die Allgemeinchirurgie, dabei hauptsächlich die Bauchchirurgie, aber auch Unfallchirurgie beherrschte. Er operierte auch Kröpfe und weibliche Brüste.

Am 1.9.1939, also am ersten Kriegstag des zweiten Weltkrieges, wurde Dr. Hanns Heidecker zum Militär eingezogen. Er hatte in den 30er Jahren dreimal Wehrübungen mitgemacht, um nicht als einfacher Soldat eingezogen zu werden. So war er inzwischen Sanitätsoffizier im Rang eines Oberleutnants. Später wurde er zum Stabsarzt befördert. Am 1.9.1939 wurde in Glogau das neugebaute 450 Betten umfassende Reservelazarett eröffnet. Meinem Vater wurde die Leitung der chirurgischen Abteilung, der größten Abteilung des Lazarettes, übertragen. Daneben gab es noch eine innere Abteilung, deren Chefarzt Herr Dr. Reich wurde. Wenn ich mich recht erinnere, gehörte daneben auch noch eine kleine HNO- und eine Hautabteilung zum Lazarett. Bis 1941 führten die Deutschen „Blitzkriege" in Polen, Frankreich und Norwegen, bei denen es erfreulicherweise nur wenige Verletzte gab. Von den vier Kasernen in Glogau kam hin und wieder ein Patient mit Blinddarmentzündung oder Leistenbruch und selten mal ein Soldat, der sich bei militärischen Übungen verletzt hatte. Aber auch damit war das große Glogauer Reservelazarett nicht ausgelastet. So wurde meinem Vater erlaubt, weiter in seinem Haus zu wohnen und neben seiner Tätigkeit als Lazarettarzt nebenbei auch noch seine beiden zivilen Krankenhäuser, das katholische St. Elisabeth - Hospital und das evangelische Bethanien - Krankenhaus, weiter zu versorgen und Sprechstunden in seiner privaten Praxis abzuhalten. Das ging gut bis zum Herbst 1941. Dann begann der Russlandfeldzug. Auch da gab es bei der Deutschen Wehrmacht anfangs nur wenige Verwundete. Als dann aber der russische Winter hereinbrach mit eisigen Temperaturen, auf die unsere Wehrmacht gar nicht vorbereitet war, kamen binnen weniger Wochen im Winter 1941/42 immer mehr Soldaten mit schweren Erfrierungen in das Lazarett, von denen viele nur noch amputiert werden konnten. Damit war das Reservelazarett bald überbelegt. Deshalb wurden die beiden konfessionellen Krankenhäuser für Zivilisten gesperrt und zu Teillazaretten umfunktioniert. Als auch das nicht ausreichte, wurden 1942 das Bischöfliche Knabenkonvikt, später des evangelische Gymnasium, die höhere Landwirtschaftsschule und das Offizierskasino in der Tannenbergstraße als weitere Teillazarette eingerichtet. Zum Schluss wurde sogar die große Kaserne des Infanterie-Regimentes 52 als Lazarett in Betrieb genommen. Natürlich kamen mit fortschreitendem Krieg auch immer mehr Verwundete in das Lazarett. Dr. Heidecker erwarb sich große Fertigkeit in der Versorgung sogenannter traumatischer Aneurysmen: Aussackungen von Schlagadern nach teilweiser Verletzung von deren Wand. Um diese blutreichen Operationen ausführen zu können, wurde ein gut funktionierendes Blutspende-System aufgebaut, zu dem sich viele Glogauer als Blutspender zur Verfügung stellten. Das Glogauer Reservelazarett erwarb sich schließlich den Ruf eines Spezial-Lazarettes für diese Verletzungsart. Schwere Brustkorbverletzungen machten die Einrichtung einer Spezialabteilung in Glogau notwendig. Der Opernsänger Jakob Heuser, der nach einer schweren Brustkorbverletzung in Glogau sehr gut ausgeheilt wurde und danach seinen Beruf sogar mit Auftritten in Bayreuth wieder ausüben konnte, bedankte sich für die gute Hilfe mit einem von ihm geschriebenen Buch über seine Erlebnisse. Wenn Lazarettzüge mit neuen Verwundeten ankamen, musste mein Vater mit seiner Mannschaft oft Tag und Nacht durcharbeiten. Sie haben damals ungeheures geleistet und vielen Menschen helfen können.

Fortsetzung folgt . . .

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