Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 8, August 2018

 

Ärzte in Glogau

vor dem zweiten Weltkrieg

3.Fortsetzung aus NGA 7/2018 und Schluss

von Dr. Karl Maria Heidecker

 




Jüdische Ärzte in Glogau

Wie überall in Deutschland gab es vor der Nazizeit auch in Glogau zahlreiche jüdische Ärzte. Dem Internet konnte ich entnehmen, dass 1933 elf Prozent aller deutschen Ärzte Juden waren. In dem 1997 beim Herder - Institut Marburg erschienenen Buch: „Annäherungen an Glogau" berichtete Frau Margot Heitmann über die jüdische Gemeinde in Glogau und zählt dabei auch dreizehn jüdischen Ärzte auf. Sie teilt mit, dass die jüdische Gemeinde in Glogau 1880 1010 jüdische Mitglieder umfasste, bei 12116 evangelischen und 5465 katholischen Einwohnern. Die Zahl der Juden war aber schon 1910 auf 569 gesunken. Zwischen 1924 und 1932 habe sich die Zahl jüdischer Einwohner konstant um 600 gehalten. „Obwohl der jüdische Anteil der Bevölkerung in Glogau nur zwei Prozent betrug, lag ihr Steueraufkommen bei 40 %", da zu ihnen viele bedeutende Geschäftsleute, Rechtsanwälte und Ärzte gehörten. An Ärzten nennt sie namentlich die folgenden 13: Dr. Cohn-Salisch, Dr. Getzel, Dr. Goldstein, Dr. Gruber, Dr. Herrnstadt, Dr. Hirschfeld, Dr. Lindemann, Dr. Mendelssohn, Dr. Nathan, Dr. Peiser, Dr. Pinner, den Augenarzt San. Rat Dr. Remak. und einen Kinderarzt Dr. Franz Plachte. Letzteren habe ich im „Historischen Ärztelexikon für Schlesien" nicht gefunden. Stattdessen entdeckte ich aber einen Dr. Fritz Dobberstein darin als Glogauer Arzt. Weiterhin fand ich in diesem Ärztelexikon auch noch den jüdischen Arzt Dr. Mügge. Anhand des genannten Ärztelexikons werde ich nun die jüdischen Ärzte Glogaus in alphabetischer Reihenfolge beschreiben:

Dr.med. Arthur Cohn-Salisch erhielt seine Approbation 1904 und wird in dem Reichs-Medizinal-Kalender 1935 und 1937 als Internist und Röntgenologe in Glogau erwähnt.

Dr.med. Fritz Dobberstein bekam 1920 seine Approbation. 1921 promovierte er an der Universitätsfrauenklinik Breslau bei Prof. Dr. Otto Ernst Küstner. 1933 und 1935 wird er im Reichs-Medizinal-Kalender als Arzt in Glogau erwähnt. Da er 1936 aus dem Arztregister der Provinz Niederschlesien gestrichen wurde, schließe ich daraus, dass er jüdischen Glaubens war und, dass die Streichung auf Grund der nazistischen Gesetze erfolgte.

Dr.med. Ernst Bernhard Getzel, wurde am 6.10.1899 in Glogau geboren. Dort besuchte er die Vorschule und bis 1917 das evangelische Gymnasium. Er wurde dann zum Heeresdienst einberufen und erhielt nach dem Waffenstillstand das Reifezeugnis am evangelischen Gymnasium Glogau. Danach studierte er Medizin an der Universität Breslau, dann ein Semester in München und zuletzt wieder vier Semester in Breslau. Dort legte er 1924 das Medizinische Staatsexamen ab. 1925 promovierte er an der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau bei Geheimrat Prof. Dr. Küttner. Nach meiner Kenntnis machte Dr. Getzel, der mit meinen gleichaltrigen Eltern gut bekannt war, eine Fachausbildung zum Kinderarzt und ließ sich dann in Glogau nieder, wo er im Reichs-Medizinal-Kalender der Jahre 1933,1935 und 1937 als Arzt in Glogau erwähnt wird. 1938 gelang es ihm noch zunächst nach Amsterdam, dann 1939 weiter nach Chile auszuwandern. Dort wurde sein deutsches Staatsexamen nicht anerkannt und es wurde ihm nicht erlaubt, in Chile als Arzt zu arbeiten. Seine Mutter, Frau Elise Getzel, blieb noch bis 1942 in Glogau, wo sie von meiner Mutter, Frau Dr. Hedwig Heidecker, bis zuletzt ärztlich und menschlich betreut wurde. Frau Elise Getzel wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstatt eingeliefert und hat dort den Krieg überlebt. Ende 1945 konnte sie auch nach Chile auswandern und zu ihrem Sohn ziehen. 1957 übersiedelte Dr. Getzel noch einmal mit seiner Familie und seiner inzwischen hundertjährigen Mutter nach Israel, wo er sich in Rishon Lezion ansiedelte. Er hatte mit 58 Jahren zwanzig Jahre nicht mehr als Arzt gearbeitet und fand dann nicht mehr die Kraft, noch einmal in seinem Beruf wieder anzufangen. Seine Frau starb im Alter von 56 Jahren im Jahre 1962. Dr. Ernst Bernhard Getzel selbst ist am 4.11.1970 in Rishon Lezion gestorben. Seine Tochter wurde als Monika Getzel in Glogau geboren. In Israel heiratete sie Herrn Dan Kriel und nahm dort den Vornamen Orit an.

Dr. med. Willi Goldstein erhielt seine Approbation 1887. Er wird in den Medizinal-Kalendern der Jahre 1896 bis 1927 als Arzt in Glogau aufgeführt. 1927 ist er Sanitätsrat.

Dr. med. Friedrich Gruber bekam 1908 seine Approbation. 1911 war er Assistenzarzt am Allerheiligenhospital in Breslau. Noch im gleichen Jahr muss er nach Glogau gekommen sein, wo er bis 1936 als Arzt tätig war. 1936 wurde er, wie Dr. Dobberstein aus dem Arztregister der Provinz Schlesien gestrichen. Im September 1936 wurde allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Nur wenige durften noch als jüdische „Krankenbehandler" weiterarbeiten. Diese ungerechte, „existenzvernichtende“ Maßnahme führte zu einer letzten großen Auswanderungswelle. Bevor sich die jüdischen Ärzte aber ins Ausland retten konnten, wurden sie noch bis aufs Hemd ausgeplündert. Erst wenn sie die „Reichsfluchtsteuer", etwa ein Viertel ihres Vermögens, die Juden-Vermögensabgabe und die Zwangsabgabe an die Deutsche Gold-Diskontbank bezahlt hatten, wurde den Emigranten erlaubt, Deutschland nahezu mittellos zu verlassen." (aus dem Internet bei Wikipedia).

Dr. med. Fritz Herrnstadt erwarb seine Approbation 1920. Im Reichs-Medizinal-Kalender wird er ab 1926/27 bis 1935 als Arzt für Innere Krankheiten und Röntgenarzt in Glogau erwähnt. Auch er wurde 1936 aus dem Arztregister der Provinz Schlesien gestrichen s.o.

Medizinalrat Dr. med. Samuel Hirschfeld erhielt seine Approbation 1880. 1904 ist er Kreisarzt in Glogau. 1907 bis 1927 führt ihn der Reichs-Medizinal-Kalender als Medizinalrat, Kreisarzt und 1927 als Geheimen Medizinalrat in Glogau auf.

Dr. med. Erich Lindemann wurde 1920 approbiert. Ab 1926 wirkte er als Facharzt für Lungenkrankheiten und Röntgenologe in Glogau. Er war auch Sportarzt und betrieb in Glogau ein Sanatorium (wohl für Lungenkranke).
Dr. Lindemann, ein großer, schlanker, sportlicher Mann, war Leiter einer jüdischen Pfadfindergruppe, mit der er in blaugrauen Uniformen noch im Frühjahr 1934 durch Glogaus Straßen marschierte, was ich noch selbst gesehen habe. Im Sommer 1934 wurde Dr. Lindemann von SA-Leuten in den Glogauer Stadtforst gelockt und dort von ihnen erschlagen.

Dr. med. Samuel Mendelssohn erwarb 1893 seine Approbation. Ab 1896 bis 1927 wird er in den Reichs-Medizinal-Kalendern als Arzt in Glogau aufgeführt. 1927 ist er Sanitätsrat.

Dr. med. Wilhelm Mügge, geb. 1879 in Chelmo (Polen), erhielt seine Approbation 1905. 1914 bis 1919 war er als Arzt in Koschentin Krs. Lublinitz tätig. Seit 1933 war er als Allgemeinarzt in Glogau tätig. Er war verheiratet mit Frau Elsa Rontschky geb. 1894. Er starb am 17.11.1935.

Dr. med. Edmund Nathan geb. am 4.3.1892 in Zduny Krs. Krotoschin (Preußische Provinz Posen) erhielt 1910 das Abiturzeugnis am Gymnasium in Krotoschin. 1910 -1917 Studium der Medizin an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Berlin, München und Breslau. Approbation 1917. Seine Promotion erhielt er 1919 mit einer Dissertation an der Universitäts-Augenklinik zu Breslau mit dem Thema: „Augenkrankheiten beim Botulismus". Nach seiner Fachausbildung zum Kinderarzt wirkte er ab 1926 in Glogau als Facharzt für Kinderheilkunde. Er wurde Chefarzt der Kinderkrippe am Soetbeer-Ring in Glogau.
Kinderkrippe Glogau

>Kinderkrippe Glogau<

Dr. med. Fritz Peiser geb. am 24.11.1900 bekam seine Approbation 1924. In den Reichs-Medizinal-Kalendern von 1933 bis 1937 wird er als Arzt in Glogau erwähnt.

Dr. med. Fritz Pinner wurde 1893 approbiert. Die Reichs-Medizinal-Kalender erwähnen ihn 1898 bis 1927 als Arzt in Glogau. 1927 ist er Sanitätsrat. Er soll um 1932 gestorben sein.

Frau Heitmann erwähnt in ihrem Artikel kurz einen Herrn Dr. med. Franz Plachte als Kinderarzt in Glogau. Er ist im Historischen Ärztelexikon für Schlesien nicht erwähnt. Dort fand ich nur einen Dr.med. Siegfried Plachte, der aus Groß-Glogau (im Gegensatz zu Oberglogau in Oberschlesien) stammte und der 1886 seine Approbation erhielt, 1885 in Würzburg promovierte und dann 1890 und 1892 als Arzt in Grünberg erwähnt wird.

Dr. med. Benno Remak erhielt seine Approbation 1883. Im Reichs-Medizinal-Kalender von 1887 wird er zunächst als Arzt in Breslau erwähnt. In den folgenden Kalendern wird er ab 1890 als Arzt in Glogau aufgeführt. Ab 1904 bezeichnet man ihn als Augenarzt und Chefarzt am St. Elisabeth-Krankenhaus in Glogau. Ab 1911 ist er Sanitätsrat. Noch 1933 wird er als Sanitätsrat, Augenarzt und dirigierender Arzt am St. Elisabeth-Krankenhaus Glogau erwähnt.

Dr. med. Paul Schieß wurde am 29.1.1892 in Berlin - Schöneberg geboren. Sein Vater war ein jüdischer Kaufmann in Breslau und seine Mutter eine evangelische Christin. Er selbst wurde evangelisch getauft und konfirmiert. Bei den Nazis galt er als Halbjude. Er besuchte das Johannes-Gymnasium in Breslau, an dem er 1914 sein Abitur ablegte. Studium der Medizin an der Universität Breslau. Während eines Semesters diente er im 1. Weltkrieg als Sanitätssoldat. 1921 Approbation und Promotion an der Universität Breslau. Seine Doktorarbeit aus der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau hatte das Thema: „Über die Behandlung der Arthrosis deformans mit Sanarit-Heilner". 1925 ließ sich Dr. Schieß als praktischer Arzt und Geburtshelfer in Nilbau Krs. Glogau nieder. Er betreute außer Nilbau noch zehn weitere umliegende Dörfer. 1927 heiratete er. Als Halbjuden machte ihm Dr. Mehlhausen immer wieder Schwierigkeiten und deshalb musste er selbst äußerst vorsichtig sein. Am 7.2.1945 begaben sich die Bewohner von Nilbau auf die Flucht. Dabei wurde Herr Dr. Schieß von Ortsbürgermeister als „Treckarzt" eingesetzt und durfte mit seiner Familie in seinem eigenen Auto fahren. Drei Tage später erreichte der Treck Dresden, wo alle drei Tage verblieben. Am Abend des 13.2. wurden die Nilbauer in einen Zug verladen, mit dem sie Dresden verließen und so dem großen Angriff entkamen. Die Flucht endete am nächsten Morgen in Breitungen / Thüringen. Da ein Nazi aus der Nilbauer Nachbarschaft Herrn Dr. Schieß in Breitungen denunziert hatte, durfte er dort nicht als Arzt arbeiten, obwohl die beiden ortsansässigen Ärzte im Krieg waren und er eigentlich dringend gebraucht wurde. So fuhr er zurück zur Schlesischen Ärztekammer, die sich damals in Bad Altheide befand, in der Hoffnung, von dort als Arzt eingesetzt zu werden. Er schrieb seiner Familie noch eine Postkarte aus Habelschwerdt in der Grafschaft Glatz. Das war sein letztes Lebenszeichen. Er muss dann am Ende des Krieges dort oder im Sudetenland umgekommen sein.


Es ist sehr traurig, dass es in unserer Heimatstadt Glogau neben vielen guten und tüchtigen Leuten auch Menschen gab, die sich als fanatische Nationalsozialisten bereits 1934 dazu hinreißen ließen, den bekannten Rechtsanwalt Dr. Sally Jacobsohn, der nach Frau Heitmann die größte Anwaltskanzlei in Glogau unterhielt, in seinem Haus zu verprügeln und zu Boden zu schlagen, einen verdienten, tüchtigen Arzt, wie Dr. Erich Lindemann, umzubringen und schließlich 1938 sich in übelster Weise an jüdischen Mitbürgern zu vergehen, ihre Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und schließlich die jüdische Synagoge, die unmittelbar neben dem St. Elisabeth-Hospital lag, in Brand zu stecken. Die furchtbare Zerstörung unserer schönen und geliebten deutschen Heimatstadt Glogau kann man als eine Strafe Gottes für diese Untaten ansehen.

Wie ich eingangs schon beschrieben habe, bin ich mir bewusst, dass mein Artikel nicht den Anspruch erhebt, wirklich alle Glogauer Ärzte erwähnt zu haben. Deshalb bin ich jedem dankbar, der mir dazu ergänzende Angaben über weitere Ärzte Glogaus und seiner näheren Umgebung machen kann. Meine Anschrift lautet:

Dr.med. Karl-Maria Heidecker
Holzhauserstr. 23
55411 Bingen am Rhein

Quellen:
Prof. Dr. med. Michael Sachs, Frankfurt am Main:
Historisches Ärztelexikon für Schlesien Band 1, A - C (1997) bis Band 6, S (2015).
Annäherungen an Glogau; Herder-Institut Marburg 1997; darin:
Margret Heitmann: Die jüdische Gemeinde Glogaus im 20. Jahrhundert. S.45 - 54.
Dr.med. Christian Fiegler: Man geht und kommt nie an - Ein Leben nach drei Fluchten aus dem Osten erschienen im Selbstverlag 2017
Dr. med. Karl-Maria Heidecker: eigene Erinnerungen und Nachforschungen z.B. über Familie Dr. Getzel, bei dessen Schwiegersohn Dan Kriel/Israel.



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